The Battle of the Giants – eine Doppelpremiere beim Berliner Theatertreffen ist höchst ungewöhnlich. Nun hat es Herbert Fritschs „der die mann“ und Stefan Puchers „Ein Volksfeind“ erwischt: Beide hatten am 11. Mai parallel ihre Theatertreffenpremiere. Das Fritsch-Team wurde mit Standing Ovations für einen temporeichen, witzigen und perfekt durchkomponierten Abend belohnt. 1:0 für Fritsch?
In Österreich sind Vornamen mehr, als sie scheinen: Sie benennen oft nicht nur Menschen, sondern auch Sachverhalte oder Dinge. Wer nach einem „Sepperl“ für kalte Nächte sucht, meint damit nicht unbedingt einen Mann namens Josef, sondern eher eine Wärmflasche. Wer einen „Pepi“ trägt, kommt womöglich weniger ins Schwitzen als gedacht: Es handelt sich um ein künstliches Haarteil. Und einen „Karl“ gibt es sogar in zweifacher Ausführung – man kann „einen Karl haben“ oder „sich einen Karl machen“. Ersteres ist eher unerfreulich, es bedeutet Mundgeruch. Zweiteres heißt „sich einen Spaß machen“.
Der Wiener Schriftsteller und Dada-Künstler Konrad Bayer machte sich häufiger einen Karl mit der Sprache – sie war für ihn Material. Bayer experimentierte in den 1950er- und 1960er-Jahren mit Formen, Sinneinheiten und Strukturen und stellte die Funktion von Sprache als Kommunikationsmittel und Bedeutungsträger in Frage. Dabei entstanden unter anderem Gedichte wie „a und o“, die nur aus geometrisch angeordneten Buchstaben bestehen, und Texte wie „karl ein karl“, in denen jedes Substantiv durch “karl“ ersetzt wird: „der ganze karl hat sich da versammelt und karl umringt karl mit karl und karl ohne karl oder karl und außer karl steht noch karl neben karl und karl der karl steht neben karl.“
„a und o“ und Goldkonfetti
Mit „karl ein karl“ und weiteren Texten von Konrad Bayer machen sich Regisseur Herbert Fritsch, sieben Schauspieler*innen und vier Musiker*innen wiederum einen Karl – und was für einen! Das Geschehen auf der Bühne sprengt eigentlich jede Beschreibung. Da gibt es eine große rote Treppe, auf der posiert, gesungen und rezitiert wird. Da gibt es einen riesigen gelben, drehbaren Grammofon-Trichter, durch den gesprochen wird und der dann und wann einen Spieler von den Füßen reißt. Da gibt es ein grünes Gummiseil, das sich hervorragend für artistische Höhenflüge eignet. Da gibt es vier Musiker, die Konrad Bayers Texte zum Klingen und die Körper der Spieler*innen zum Beben bringen. Und da gibt es sieben Schauspieler*innen in einheitlichen Kostümen, die Worte in Körper kleiden – und in Bewegung, in Rhythmus und in Klang übersetzen. In furiosem Tempo sprechen sie scheinbar sinnentkleidete Texte, bebildern sie durch große Gesten und nehmen alles sehr ernst, was sie sagen. Immer wieder beobachten sie einander, bilden Gruppen, erschrecken voreinander, missverstehen einander, kommentieren einander. Immer wieder tritt jemand aus der Gruppe heraus, um an einem gelben, blauen oder roten Mikrofon einen Beitrag zum Besten zu geben. Immer wieder verpasst jemand seinen Einsatz, wird umständlich von den anderen auf diesen Missstand aufmerksam gemacht und findet sich peinlich berührt unter Zugzwang an der Rampe wieder. Immer sind die puppenhaften Gestalten auf der Bühne um Haltung bemüht, versuchen stets, sich gruppenkonform zu verhalten und stolpern dabei von einer Ungeschicklichkeit in die nächste. Nur um dann wieder zusammenzukommen und in schönster Eintracht Bayers Gedicht „a und o“ vorzutragen, in unglaublichem Tempo – und vollkommen fehlerfrei. Oder um gemeinsam „Niemand hilft mir“ zu singen. Oder um die rote Treppe von Goldkonfetti zu befreien. Oder um zappelnd auf dem blauen spiegelnden Boden zu liegen. Oder um Sprechchore zu bilden, die sich auflösen – in Klang.
Der Karl zieht weiter
„der die mann“ ist ein rasantes, höchst unterhaltsames und gnadenlos witziges Fest der Schauspiel- und Theaterkunst, mit einer Unmenge an Ein- und inszenierten Unfällen. Furios, wie Florian Anderer, Jan Bluthardt, Werner Eng, Annika Meier, Ruth Rosenfeld, Axel Wandtke und Hubert Wild ihre Körper und Stimmen einsetzen. Großartig, wie Ingo Günther, Michael Rowalska, Taiko Saito und Fabrizio Tentoni mit Musik das Geschehen auf der Bühne strukturieren. Toll, wie die Kostüme von Victoria Behr mit der Bühne von Herbert Fritsch und der Lichtgestaltung von Torsten König ein stimmiges Bild ergeben. Großartig, wie klug Herbert Fritsch und Sabrina Zwach den Abend gebaut haben.
Klar, neu sind die eingesetzten Mittel – die Running Gags, das Gliederverrenken, die ausufernden Gesten – nicht. Eher handelt es sich bei „der die mann“ um eine konsequente Fortschreibung von früheren Fritsch-Arbeiten an der Volksbühne wie „Murmel Murmel“ (2012) und „Ohne Titel Nr. 1 – Eine Oper von Herbert Fritsch“ (2014), bei denen die Form ebenfalls zugleich Inhalt ist. Was der überragenden Qualität von „der die mann“ aber keinen Abbruch tut. Im Gegenteil: Bayers hinterfotzig-kluge Sprachkunstwerke eignen sich hervorragend für einen an ästhetischen, klanglichen und formalen Kriterien orientierten Zugriff, der keine Geschichte erzählen möchte, sondern bereits die Geschichte ist. Ab der Spielzeit 2017/18 wird Herbert Fritsch an der Volksbühne nicht mehr inszenieren: Er wird sich anderswo einen Karl machen: „da tritt karl einfach aus karl raus und mit karl über dem karl treten sie dann einfach gegen den eigenen karl. entsetzt fällt karl auseinander. und im karl erscheint karl.“
der die mann
nach Texten von Konrad Bayer
Regie und Bühne: Herbert Fritsch, Kostüme: Victoria Behr, Licht: Torsten König, Musikalische Leitung: Ingo Günther, Dramaturgie: Sabrina Zwach
Mit: Florian Anderer, Jan Bluthardt, Werner Eng, Annika Meier, Ruth Rosenfeld, Axel Wandtke, Hubert Wild
Musiker: Ingo Günther, Michael Rowalska, Taiko Saito, Fabrizio Tentoni
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause