Meine allererste Fotoprobe: Krieg und Frieden

Ich war noch nie bei einer Fotoprobe. (Das ist eine für Fotografen öffentliche Probe, bei der Pressefotos gemacht werden, weil ja während der richtigen Vorstellung nicht geblitzt und geklickt werden soll.) Aber jetzt!

Frieden. Ich stehe draußen vor der Volksbühne in der Sonne. Die Uhr sagt 10.31. Noch nie, wenn ich Volksbühne besucht habe, war es so ruhig wie jetzt. Ich genieße kurz den Augenblick, bevor ich reingehe. Aber dann: Alle Türen sind zu. Was mache ich? Die Fotoprobe für Sebastian Hartmanns Inszenierung von „Krieg und Frieden“, die am Abend beim Theatertreffen gezeigt wird, sollte um 10.30 Uhr anfangen. Ich bin also schon zu spät. Ich laufe die rechte Seite des Gebäudes entlang. Hilft nicht. Sesam, öffne dich! Hilf auch nicht. Ich laufe zur linken Seite, und da stehen zwei Typen im Gespräch. Ich unterbreche sie und benutze mit Absicht ein bisschen französischen Akzent. Dann geht es immer leichter.

Um 10.34 Uhr stehe ich vor der Großen Bühne und schaue mich mit einem Gesichtsausdruck um, der sagen soll: „The famous always come latest.“ Vorn mir stehen unter anderem der Regisseur Sebastian Hartmann und die Schauspieler Heike Makatsch (Interview) und Manolo Bertling.

Nach ein paar Witzen zwischen Hartmann und den Musikern fängt die Probe an. Hier drinnen wirkt alles auch sehr friedlich. Schön. Die hungrigen Fotografen rechts von mir in der ersten Reihe sehen etwas kriegerisch aus. Ich nehme meine Kamera in die Hand, die im Vergleich mit den anderen im Saal wie Polly Pocket-Spielzeug aussieht. Na ja, mein Ego ist groß genug.

Fotoprobe Krieg und Frieden 1

Foto: Mai Vendelbo

 

Der Saal wird die nächsten paar Stunden von Musik, Hartmann, Dialogen, Monologen, Lächeln und Klicken der Kameras gefüllt. Und einer Klima-Anlage? Hartmann beschwert sich fröhlich über das merkwürdige Kühlschrank-Brummen im Saal: „Vielleicht habe ich Tinnitus bekommen?“

Die Geräusche verschwinden in schwarz-weißen Szenen, die mir sehr gefallen. Ich mag das konstante Spiel zwischen Dynamik und Stillstand. Die anderen Fotografen bleiben ruhig am Platz. Ich nicht. Die Bilder verführen mich und ich laufe leise herum. Vielleicht ist das gar nicht erlaubt? Aber niemand stoppt mich.

Die Fotoprobe ist zu Ende, und ich gehe rechts durch die Tür raus, die ich nicht von außen öffnen konnte. So ist es. Es ist immer einfacher, raus- als reinzukommen. Ich frage mich, ob ich irgendwann wieder die Chance bekomme, bei einer Fotoprobe dabei zu sein? Ich hoffe schon. Ich kämpfe weiter, mit oder ohne französischen Akzent. Krieg.

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Mai Vendelbo zog 2011 nach Berlin. Sie studiert Visual and Media Anthropology an der FU Berlin und arbeitet als freie Fotografin. Zuletzt hospitierte sie am Maxim Gorki Theater.

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