Wieviel Zickigkeit können Sie sich leisten?

Die schlechte wirtschaftliche Lage, das fehlende Geld, die Krise: An allen Ecken und Enden ging es auch beim Theatertreffen darum. Persönlich betroffen sind fast alle, hier spricht nun eine, die das Thema „Produktionsbedingungen“ ein Festival lang mit sich herumschleppte.

Es sieht schlecht aus. Aber das wissen wir doch, ruft es jetzt aus allen Richtungen. Sogar mein jugendlich-naives früheres Ich wusste es schon: Als die 17-jährige Alexandra M. sich damals im mittelhessischen Niederbieber dafür entschied, Schauspielerin werden zu wollen, sagte sie immer, wenn sie darauf angesprochen wurde: „Ich weiß, dass es hart ist, aber wenn man es wirklich will, muss man es tun. Meine Mama unterstützt mich da auch.“

Viel hat sich in den letzen zehn Jahren geändert, nicht zuletzt das Leben von Alexandra M.. Heute lebe ich als mehr oder weniger definierter Teil der Freien Szene in Berlin (immerhin 4.000 Menschen) und blogge gerade über das Theatertreffen. Was sich nicht geändert hat: Meine Mama sagte vor kurzem zu mir: „Du könntest jederzeit wieder zurück nach Niederbieber kommen, wenn es ganz eng wird.“

Genau wie die restlichen 16.000 Menschen, die in Deutschland als freie Theatermacher, Tänzer etc. leben, muss ich mich immer wieder um ein unangenehmes Thema kümmern: Das Geld. Die Produktionsbedingungen, unter denen besonders frei arbeitende Theatermenschen leben und Kunst schaffen, sind – besonders in Zeiten der Krise – selten ideal. Der Mangel wurde auch beim diesjährigen Theatertreffen nicht nur auf der Bühne oft thematisiert.

Aber: Es ändert sich was …

Mit der Auswahl der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen fängt es an: Sie bildet die Tatsache ab, dass die deutschen Schauspielhäuser sich neuen Arbeitszusammenhängen öffnen: Gruppen wie die „Szputnyik Shipping Company“ von Viktor Bodó oder das „Nature Theater of Oklahoma“ gehören eigentlich einem Theater an, das früher fast ausschließlich im Programm des Hebbel am Ufer, auf Kampnagel oder in den Sophiensaelen zu sehen war.

Pavel Liska und Kelly Copper vom „Nature Theater“ befrage ich in einem Interview zu ihrem Verhältnis zu Geld. Während sie sonst in ihrer winzigen Wohnung in New York oder in einer Turnhalle in der Bronx proben, müsste es ihnen doch jetzt, da sie mit dem Wiener Burgtheater zusammenarbeiten, unglaublich gut gehen. „So viel Geld können die uns dann doch nicht zur Verfügung stellen“, sagt Kelly Copper. „Wir haben einen Regieassistenten bekommen, wussten aber gar nicht, was wir mit dem anfangen sollen. Er spielt jetzt Klavier in ‚Life and Times‘.“

Das Wenig-Geld-Haben gehört zur Arbeit des „Nature Theater of Oklahoma“ dazu: „Wir umarmen die Situation, wir haben sie immer umarmt. Sie ist Teil unserer Arbeit.“ Ich frage nach, ob das Arbeiten am Burgtheater, unter neuen, besseren Bedingungen, etwas verändert hat? „Wir nehmen das Geld vom Burgtheater natürlich gerne, wir wollen hier nicht die Armut glorifizieren. Aber wir wissen alle, dass dieses Geld jeden Tag wieder weg sein kann“, sagt Copper. Das Luxuriöse an der Zusammenarbeit sei die Zeit gewesen. Sie konnten acht Wochen proben, ohne etwas anderes machen zu müssen.

Luk Perceval hat einen anderen Hintergrund. Er hat mit sehr wenig Geld angefangen, das habe auch funktioniert: „Die Frage ist immer nur, wie lange. Man braucht genug Geld, um das zu verwirklichen, was man künstlerisch für notwendig hält.“ Von der Politik fordert er, sich endlich für die Kultur und die damit verbundenen Konsequenzen zu entscheiden – es müsse genug Geld da sein, um Menschen ordentlich zu beschäftigen.

Die Krise auf dem Podium

Auch auf den Diskussionspodien des Theatertreffens tauchte das Stichwort „Produktionsbedingungen“ auf, einmal im Hintergrund und einmal als explizites Thema.

Roland Schimmelpfennig erzählt zur Eröffnung des Stückemarkts von seinen Erfahrungen im Ausland. „In Deutschland kann man sich Zickigkeit leisten. In London oder New York kommt der Theaterbetrieb ohne falsche Eitelkeiten aus. Das heißt aber, die Bedingungen sind so hart, dass die Leute sich das gar nicht leisten können. Die Probenzeiten sind so kurz, da gibt es weder die Zeit noch die Toleranz, etwas zu diskutieren.“ Das sehe man manchen Produktionen aber auch an. In Deutschland habe man also nichts zu meckern.

Der Schreckensreport

Bei der Buchvorstellung des „Reports Darstellende Künste“ herrscht ein anderer Tenor vor. Hier prasseln Zahlen auf mich ein, so dass ich nach der Hälfte der Veranstaltung doch nochmal über ein Informatik-Studium (mein Plan C) nachdenke.

Günter Jeschonnek, Geschäftsführer des Fonds Darstellende Künste, der den Report in die Wege geleitet hat, weist in seiner Einleitung darauf hin, dass seit 1973 keine empirische Erhebung der Lebens- und Arbeitsumstände von Künstlern unternommen worden ist.

Um das zu ändern, hat der Fonds Darstellende Künste in den letzen Jahren über 4.000 Freischaffende in den Bereichen Tanz und Theater zu ihrer wirtschaftlichen Situation befragt. Die Ergebnisse werden in einem 500 Seiten starken Buch aufbereitet, das im Sommer erscheinen wird. Jeschonnek lässt ein Zahlengewitter los: 40 Prozent der freischaffenden darstellenden Künstler verdienen weniger als das durchschnittliche Jahreseinkommen der Deutschen (17 463 Euro), ebensoviele sind auf Sozialleistungen angewiesen. Fast 75 Prozent der Freien sind an mindestens zehn (!) Projekten im Jahr beteiligt. 68 Prozent aller freischaffenden darstellenden Künstler haben keine Kinder. Ihre durchschnittliche Rentenerwartung liegt bei etwas über 400 Euro. Das seien nur Fakten, kein Gejammer, sagt Jeschonnek. Ich schreibe fleißig mit, würde das alles aber lieber gar nicht wissen.

Glücklicherweise kommen in der zweiten Hälfte der Veranstaltung Peter Meining (norton.commander.productions) und Monika Gintersdorfer (Gintersdorfer / Klassen) zu Jeschonnek auf die Bühne und binden die erschreckenden Zahlen an die Realität zurück. Meining bündelt seine Durchhaltephilosophie in einem Satz: „Ich habe es mir ausgesucht.“

Monika Gintersdorfer, die auch viel in Stadttheatern gearbeitet hat, erklärt, dass sie und ihre Truppe mit den Gegebenheiten umzugehen gelernt hätten. Zum Beispiel verzichten sie – wie auch das „Nature Theater of Oklahoma“ – komplett auf Bühnenbilder, solange ihre Förderung abzüglich Bühnenkosten nicht mehr für angemessene Gagen reichen würde. Bei der Eröffnungspressekonferenz des Theatertreffens führt Karin Beier, Intendantin des Schauspiel Köln, einem von derzeit vielen von Sparmaßnahmen bedrohten Stadttheatern, das Geldzusammenhalten ad absurdum: Vielleicht solle man nur noch in einem einzigen Bühnenbild spielen? Oder nur an Samstagen?

Bestimmt gibt es noch andere interessante und produktive Wege, mit der Situation umzugehen. Auf jeden Fall ist die Diskussion darum, wie (darstellende) Künstler in Zeiten von Etatkürzungen, Wachstumsbeschleunigungsgesetz und Sachzwängen leben und arbeiten können, noch lange nicht vorbei. Schon gar nicht für die einzelnen Betroffenen. Wie mich. Sicher ist nur: Ich kann immer zurück nach Niederbieber.

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Alexandra Müller

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