Ich glaube, ich bin gerade dazwischen. Also zwischen Claus Peymann und Marina Weisband, meine ich.
Gestern war die Eröffnung der Konferenz „Theater und Netz“, die durch eine Kooperation von nachtkritik.de und der Heinrich Böll Stiftung mit der Bundeszentrale für politische Bildung am 8. und 9 Mai stattfindet. Im Anschluss an das Gespräch zwischen dem Intendanten des Berliner Ensembles und der Piratin (ihr Lieblingsbuch ist übrigens „Krieg und Frieden“ von Tolstoi), bin ich die Spree entlang spaziert und habe über die Protagonisten des Abends nachgedacht. Ich habe daran gedacht, wie der Moderator Albert Eckert das Publikum darum bat, Handzeichen zu geben. Ob man eher theater- oder eher netzaffin sei. Ich hob zweimal die Hand. Und ich glaube, das war ein performativer Moment, selbstreferentiell und die Wirklichkeit konstituierend. Denn, so wie sich der Zustand zweier Menschen vor dem Traualter durch den Ausspruch des Ja-Worts von Einzelperson zu Ehepaar verändert, so habe auch ich vorhin durch meine Geste ausgedrückt: Ja, ich bin Teil dieser Community. Das war eine Bewusstwerdung und gleichzeitig ein Bekenntnis. Denn bisher gehörte ich wohl nicht dazu.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Youtube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Natürlich bin auf Facebook. Ich checke auch meine E-Mails mehrmals täglich. Ich besitze aber weder Smartphone noch Tablet. Da hat mir Claus Peymann einiges voraus: „Ich habe seit Kurzem ein iPhone, ich beherrsche es nur nicht.“ Mein Laptop ist wuchtiger als so manch ein PC und ein hervorragender Flatscreen-Ersatz bei heimischen DVD-Abenden. Mobil bin ich nur über Anruf oder SMS erreichbar, schnelle Reaktionen im Internet sind undenkbar. Darüber bin ich glücklich. Denn ich kann gut nachvollziehen, was Claus Peymann meinte, als er das Internet als „Kommunikation der Einsamkeit“ beschrieb. Im Gegensatz zu Marina Weisband macht mich das Bild einer Rose in einer SMS nämlich nicht glücklich, es erregt mich auch nicht nachhaltig.
Natürlich freue ich mich, wenn jemand an mich denkt und eine Kurzmitteilung schreibt, aber wie oft schaue ich auf mein Handy und der Posteingang ist leer? Wie oft aktualisiere ich Social-Media-Profile, ohne neue Nachrichten zu bekommen? Oft habe ich dann das Gefühl, dass Facebook zur Bühne für die Inszenierung der eigenen Persönlichkeit wird, aber dabei wenig persönlich ist. Anstatt mich Freunden nah zu fühlen, beobachte ich sie aus der Ferne. Auch wenn es technisch möglich ist, reagiere nicht auf alle Informationen, die mir „Freunde“ über Facebook mitteilen, ich kann dem Überfluss an Daten nicht Herr werden. Für mich bedeutet das dann häufig die Form der Kommunikation, welche die „Theatergängerin“ Weisband (mit vier Jahren sah sie bereits „Schwanensee“) als typisch theaterhaft betitelte: „das unidirektionale Konzept“, bei dem der Regisseur Informationen an das Ensemble, und die Schauspieler diese ans Publikum sendeten.
Ich widerspreche!
Ich möchte Marina Weisband in diesem Punkt widersprechen und wundere mich, dass Claus Peymann dies nicht selbst getan hat: Theater mit seiner Eigenheit als Live-Erlebnis, als transitorischer Prozess ist immer ein Zwiegespräch zwischen Publikum und Schauspieler. Eigentlich sind alle dabei Akteure, niemand ist im theatralen Raum nur passiv. Theater ist gerade keine Kunstform, in der sich der Rezipient wie Marina Weisband sagte, „im Dunkeln vier Stunden zurücklehnen“ kann. Denn schließlich kommunizieren wir nicht nur digital mit sprachlichen Zeichen, sondern auch analog, mit unserem Köper: mit Hustkonzerten, Applaus, Räuspern und unserer Bewegung im Raum. (Im theaterwissenschaftlichen Jargon nennt man diese spezielle Kommunikationsform autopoietische Feedback-Schleife.) Genau diese face-to-face-Situation schätze sie sehr, sagt Weisband am Anfang des Gesprächs und verweist damit indirekt auf den theatralen Charakter der Eröffnungsveranstaltung der Konferenz. Sie sagt auch, dass sie Polit-Talk im Fernsehen als das schlechteste Theater überhaupt empfinde, aber was denkt sie dann wohl über den heutigen Abend?
Überraschend amüsant und unterhaltsam ist das Gespräch. Claus Peymann läuft zu komödiantischen Hochtouren auf, berichtet von Heizungsdefekten und mangelnder Fahrerlaubnis, Statistiken über Fahrradständer vorm Haus des Berliner Ensembles, Arschkriechtheater und sein Verhältnis zu Elfriede Jelineks Dramatik, die er gar nicht möge, aber das sei seine Geschichte mit der Autorin.
Insgesamt scheinen die Fronten nicht verhärtet, auch wenn die Sitzordnung, mit einer ungeheuren Distanz zwischen der Piratin und dem Regisseur, einen anderen Anschein erweckt. Beispiele der herrschenden Diplomatie: Peymann sieht in einem Shitstorm Parallelen zum Theaterskandal, Weisband findet, dass nicht alles digital sein müsse und das Theater doch gern in seinen traditionellen Mitteln verhaftet bleiben dürfe (weil man sich dann ja endlich mal wieder vom ständigen Einprasseln der Medien schön „zurücklehnen“ und ausruhen kann). Das kommt Peymann entgegen, er sieht die Konfrontation mit dem Fernseher als letzte große Krise des Theaters und kritisiert damit den Einsatz von Videoinstallationen auf der Bühne.
Die Diskussion um Medien im Theater ist eigentlich ein alter Hut. Viel älter als das Fernsehen, hatte doch auch schon Erwin Piscator 1927 in seiner „Hoppla, wir leben!“- Inszenierung mit Videoprojektionen und Filmeinspielern auf die Berliner Bühne im Theater am Nollendorfplatz gebracht (heute Club Goya, siehe Bildergalerie). An dieser Stelle soll nicht die Idee der Konferenz kritisiert werden, schließlich geht es ja eigentlich um Theater und Netz und nicht um Theater und Medien. Es wird nur deutlich, wie weit Weisband und Peymann manchmal an diesem Abend ausholen müssen, um die Frage nach konkreten Perspektiven für die Beziehung von Theater und Internet zu umschiffen.
Für Claus Peymann persönlich aber scheint der durch die Konferenz angeregte Austausch Horizont erweiternd gewesen zu sein. Bei seinem durch die Organisatoren zwangsverordnetem Besuch der Berliner Blogger-Konferenz re:publica habe er gespürt, dass es dort einen „Traum“ gäbe, eine Utopie vom Glücklichsein, die ihm den „Stoß in die Zukunft“ gegeben habe. Das klingt nach einem Erkenntnismoment.
Diese Einschätzung erinnert mich an mein anfänglich beschriebenes eigenes Gefühl beim Heben des Fingers und dem damit verbundenen Bekenntnis, zur „Theater und Netz“-Community zu gehören. Als ich vor einigen Wochen für mein Praktikum beim Theatertreffen-Blog nach Berlin kam, hätte ich wohl nicht mit dieser Reaktion gerechnet und mich als Theaterwissenschafts-Studentin ganz eindeutig der Interessengruppe „Theater“ zugezählt. Heute, während Peymanns und Weisbands Gespräch, habe ich mit den anderen Bloggern live mit dem Hashtag #theaterundnetz getwittert und @nachtkritik hat mich sogar geretweeted. Aufregend!
Ich glaube, ich bin nun wirklich ein bisschen dazwischen.