Theaterkritik: Confirmation

Ich bin ein aufgeschlossener Mensch. Ich erkenne, so gut es geht, wie verworren und komplex die Welt ist. Ich lese The Guardian. Als Liberaler bin ich mir meiner Meinung sehr sicher. Zum Beispiel bin ich mir sicher, dass der Klimawandel wirklich stattfindet. Oder, dass wenn jemand mir rassistische Bemerkungen um die Ohren haut, derjenige einfach fundamentale humanistische Prinzipien nicht verstanden hat und geschichtliche Ereignisse falsch einordnet. Und nun behauptet jemand, dass ich diejenige bin, die vernagelt sein könnte.

Der psychologische Prozess des „Confirmation Bias” sorgt dafür, dass man Informationen genau so interpretiert, dass sie die eigene Meinung bestätigen. Wie etwa das stereotype Einordnen von anderen Menschen, hilft uns dieser Sortierungsprozess eine Fiktion unseres Selbst in der überwältigenden Informationsflut zu etablieren. Das ist zunächst eine relative nützliche Sache. Die Welt bekommt den Anschein, dass alles sinnvoll zusammenhängt; eigene Meinungen werden untermauert und es gibt Gegenpositionen, an denen man sich reiben kann. Eine sich selbst bestätigende Feedbackschleife hat allerdings einen großen Haken. Wie ist es möglich eine extremistische Geisteshaltung zu überwinden, wenn ich mir nicht bewusst bin, dass sie extremistisch ist?

Chris Thorpe ist Autor und Performer des Stückes Confirmation, welches diesen Bestätigungsfehler untersucht. Sein Ansatz scheint auf den ersten Blick effekthaschend. Ein Liberaler spricht mit einem Faschisten, um dann davon zu berichten, wie schwer es ihm fällt, die Position des Anderen zu verstehen. Damit passieren zwei Dinge gleichzeitig. Die psychologischen Prozesse, die zur Konstitution der eigenen Meinung führen werden aufgezeigt und gleichzeitig wird da das größte unverhandelbare Geschoß aller aufgefahren, Rassismus, Holocaust, jüdische Verschwörungstheorien. Confirmation ist ein Fort/Da-Spiel der liberalen Selbstversicherung.

Wie ein geladenes Teilchen in diesem Magnetsturm schreitet Thorpe immer wieder in großen Schritten in die Mitte und wieder zurück zu den Ecken. Er dreht seinen Stuhl um, hebt ihn auf die Schulter, setzt ihn wieder ab und fixiert die Zuschauer, die in einem Quadrat aus Stühlen um ihn versammelt sind, mit einem intensiven Blick. Bald rückt er einen Stuhl ganz nah heran an einige von uns und bildet die Interviewsituation nach, die er mit dem Rassisten “Glen” durchlebt hat. Wir werden genötigt Thorpe Fragen zu stellen, die auf Karteikarten notiert sind, und er antwortet als Glen. Und immer wieder diese bohrende Blick, der fragt, ob wir wissen, mit wem wir es hier zu tun haben? Es widerstrebt zutiefst, wenn Glen Beobachtungen über unser soziales Gefüge anstellt, denen wir als vermutet liberales Publikum prinzipiell zustimmen.

Das Stück schöpft aus einer starken Britischen Erzähltheatertradition und ist teils Vorlesung mit Zuschauerpartizipation, teils künstlerische Verarbeitung des Rechercheprozesses. Wir und Er, Er und Glen, Liberale und Konservative, die Anderen und ich – diese Kluft zwischen Positionen wird im Laufe des Abends immer mehr verwischt. Thorpes unvermeidliches Andersmachen der Position desjenigen mit dem er sich auseinandersetzt, ist das im Vorhinein eingebaute Scheitern des Experiments. Das Stück berichtet von einem Selbstüberwindungsversuch, aber beim Beschreiten seiner psychologischen Reise, fällt Thorpe notwendigerweise auf seine eigene Erfahrung und seine Einstellungen zurück.

Und auch ich selbst werde mir meines eigenen Blickes immer bewusster. Nicht nur auf Thorpe selbst, sondern auf das Publikum. Ich stelle Vermutungen an über die Menschen, die mit mir in dem Raum versammelt sind. Ihre Hautfarbe, ihr Stirnrunzeln an bestimmten Stellen, ihr Dialekt als sie Thorpes Karteikarten vorlesen. Fühlen sie sich angegriffen von den rassistischen Bemerkungen, die der Andere da vor ihnen ausbreitet? Sind sie bereit sich von ihrer selbstversicherten Position bewegen zu lassen? Gerade hier, im Englischen Theater in Berlin, wie sehr wird das Publikum rebellieren, wenn rassistische Positionen zum Holocaust thematisiert werden?

Im TT-Blog Interview mit Chris Thorpe (auf Englisch), spricht der Autor davon wie er den Verhandlungszusammenbruch zwischen Ihm und Glen nicht als Scheitern seines Liberalismus sondern als Ausdruck seines eigenen Extremismus versteht. In den Momenten wo der diskutierte Zwiespielt zwischen den Positionen auf eine poetische oder musikalische Ebene erhoben werden, ribbelt sich das Stück etwas auf und riskiert ein pathetisches Absacken. Thorpes Ausweg als Künstler aus der drohenden Korrumpierbarkeit ist allerdings diese poetische Verarbeitung. Personen, die Augäpfel tauschen, ein melancholischer Rocksong, mit dem er sich unglaublich angreifbar macht, noch ein starrer Blick.

Ich bin ergriffen. Nicht von dem Ausmaß an Hass und Verschwörungswahn, der in den Adern der Anderen pulsiert, sondern von der Vorführung der Umöglichkeit extremer Positionen sich je anzunähern. Confirmation ist pragmatischer Säureregen auf eine verklärte Weltsicht, in der sich alle verstehen können. Ein Seufzen der Verzweiflung.

Confirmation
English Theatre Berlin
Regie: Rachel Chavkin
Cast: Chris Thorpe

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