Die alltägliche Glücks-Suche

David findet seine Frau Jess auf dem Bett liegend, sie hat eine Überdosis Tabletten geschluckt. Anstatt ihr zu helfen, flößt er ihr Wodka ein, um das Sterben noch zu beschleunigen. David wünscht sich einen Ford Mondeo. Und seine Frau leidet an Kaufsucht, verprasst alles Geld. Das verträgt sich eben nicht. Daniel Hoevels und Susanne Wolff spielen das Paar in „Liebe und Geld“ von Dennis Kelly am Thalia Theater in Hamburg (Regie: Stephan Kimmig). Anlässlich der tt-Premiere heute Abend trafen wir uns mit den beiden Schauspielern in der Garderobe des Deutschen Theaters.


Susanne Wolff spürt Gegenwind beim Theatertreffen.

Daniel Hoevels: "Ich glaube nicht an Selbstverwirklichung." Fotos: Kim Keibel

Haben Sie auch schon mal von einem Ford Mondeo geträumt?
Susanne Wolff:
Ich weiß gar nicht, wie der aussieht.
Daniel Hoevels: Nein, hab ich nicht, das ist ein hässlicher Kombi, ein Mittelklassewagen ohne besondere Merkmale.

David tötet für einen Ford Mondeo, seine Frau leidet an Kaufsucht. Können Sie Ihre Figuren nachvollziehen?
Daniel Hoevels:
Die Setzung, die der Autor damit getroffen hat, ist eine sehr zugespitzte, wie in vielen anderen Situationen des Stücks auch. Sie ist grotesk. Bei dem Ford Mondeo geht es ja nicht um einen Luxusgegenstand, den alle haben wollen, sondern um etwas sehr Alltägliches. Ich kann es nicht nachvollziehen.
Susanne Wolff:
Es gibt eine kleine Szene, wo Jess vor dem Schaufenster steht und diese Handtasche anstiert, ansonsten wird nur durch Erzählungen klar, was das Problem dieser Frau ist. Von daher musste ich mich jetzt nicht so sehr damit auseinandersetzen. Natürlich muss ich für mich wissen, was es heißt, abhängig von Gegenständen zu sein. Aber davon kann sich, glaube ich, kaum jemand freisprechen. Dass er gerne ein iPhone oder etwas hätte, worauf er spart.

Dieses Konsumthema, ist das ein sehr aktuelles Thema?
Daniel Hoevels:
Ich finde das kein besonderes Merkmal für die Nullerjahre, sondern man könnte weiter zurückgehen in die Neunziger oder in die Achtziger Jahre, da gab es auch einen extremen Konsumbezug, zumindest in der westdeutschen Gesellschaft.
Susanne Wolff: Ich finde schon, dass sich das immer mehr zuspitzt. Also, wenn man sich das Phänomen iPhone anschaut zum Beispiel. Ich spreche jetzt mal von mir: Erst dachte ich, wozu braucht man das? Und mehr und mehr guckt man sich das bei den anderen Leuten an und denkt sich: Oh Mann, das sieht so sexy aus. Oder das iPad. Da denkt man noch, so ein Schwachsinn, ich habe doch nicht so ein Schieferbrett in der Hand. Und irgendwann hat man es dann auch. Die Abstände, in denen man neue Gegenstände unbedingt besitzen möchte, werden immer kürzer, finde ich. Schon Dreizehnjährige haben iPhones, ist schon erschreckend. Früher hat man sich solche Sachen erst mit 25 oder 30 geleistet.
Daniel Hoevels: Ich finde ja, in „Liebe und Geld“ geht es gar nicht um Kaufsucht. Es gibt einen Satz von Novalis, der lautet: Wir suchen überall das Unbedingte und finden nur Dinge. Das ist für mich eher das Stück.

Haben Sie ein Beispiel dafür?
Daniel Hoevels: „Liebe und Geld“ ist ein kurzer Szenenreigen. Es geht um den Versuch von verschiedenen Figuren, sich in ihrem Leben eine Portion Glück zu sichern, im Beruf, in einer Ausbildung, in einer Liebesbeziehung, in einer Heirat, in einer Familie – und der scheitert. Die Suche nach dem Unbedingten ist in diesem Stück etwas sehr Alltägliches, spießbürgerlich-normal. Aber dass die Figuren schließlich bei den Konsumprodukten enden, die sie haben wollen, und dass das dann ins Unglück führt, ist tragisch.

Wo finden Sie denn Ihr ganz persönliches Glück?
Susanne Wolff: Um Daniels Novalis-Zitat aufzugreifen – ich versuche es im Unbedingten zu finden, es in mir selbst zu finden – und mich nicht abhängig zu machen von dir (deutet auf die Interviewerin) oder von dir (deutet auf Daniel Hoevels). Oder von meiner Hose.
Daniel Hoevels: Ich sehe das ein bisschen anders. Ich glaube nicht an die Selbstverwirklichung. Wenn ich alleine zu Hause auf dem Sessel sitze, dann ist da erst einmal nichts. Und wenn ich den Raum wechsle, dann wechsle ich nur den Raum, denn da ist auch erst einmal nichts. Insofern glaube ich gar nicht an diese klassische Selbstverwirklichung, die einem seit den Siebziger Jahren nahegelegt wird. Verwirkliche dich selbst, sei unabhängig von – ja zum Beispiel: Konsumprodukten. Ich glaube, dass das Glück irgendwie darüber hinausgeht, aber ich weiß nicht wo. Aber auf alle Fälle fesselt es sich nicht an Dinge.

Mussten Sie sich schon mal für Geld verbiegen?
Susanne Wolff: Ich empfinde meinen Beruf weitgehend als einen glücklichen Grundzustand. Ich bin natürlich schon manchmal verärgert. Aber ich würde nichts für Geld machen, wenn ich nicht dahinter stehe. Ich kann das von meinem Kopf her nicht. – Doch. In einer Arbeit habe ich mich einmal sehr verbogen. Bei Robert Wilson. Das war etwas, wo ich mir sagte: Okay, ich kriege dafür Geld, ich mache diese Arbeit.

„Liebe und Geld“ wird viel gespielt, zurzeit zum Beispiel in Bochum, in Düsseldorf, in Graz. Können Sie sich das erklären?
Daniel Hoevels: Die nahe liegende Begründung ist natürlich, dass es sich in so einen Reigen der Kapitalismuskritik fügt, aber das ist ja nichts Besonderes. Man muss ja zur Zeit eher nach zeitgenössischen Stücken suchen, die das nicht tun.

Soll der Zuschauer geschockt oder geläutert herausgehen?
Susanne Wolff: Ich hoffe, es gelingt uns, dass der Zuschauer verführt wird zu glauben, dass es eine unterhaltsame, komische Szene ist, und dass die Stimmung dann kippt. Dass man sich fragt, was macht der jetzt da? Der hat Wodka gekauft? Und was macht er jetzt damit? Und dass der Zuschauer sich fragt, ob er das verstehen kann, dass dieser David seine Frau umbringt wegen ihrer Kaufsucht.
Daniel Hoevels: Ich glaube, das ist kein Stück, das einen wahnsinnig schockiert. Aber ich hoffe, dass es ein Verweis auf etwas Ungesagtes ist. Das ist das Gute am Autoren Dennis Kelly, dass er sich nicht anmaßt zu sagen, wie der Gegenentwurf aussehen würde.

Sie haben beide auch vorher schon in Inszenierungen von Stephan Kimmig auf der Bühne gestanden. Was macht die Zusammenarbeit aus?
Daniel Hoevels: Ich finde, dass er sehr genau auf die Personenkonstellationen achtet. Er geht direkt rein in die Figuren. Das ist das Besondere.

Sie spielen beide hier am Deutschen Theater. Auch zusammen in „Diebe“ in der Regie von Andreas Kriegenburg, das ebenfalls zum Theatertreffen eingeladen ist. Sie kennen das Berliner Publikum. Das ist sozusagen heute abend gar kein Gastspiel für Sie.
Daniel Hoevels: Aber es ist nicht das normale Berliner Publikum. Sondern das Theatertreffen-Publikum.

Ist das anders?
Susanne Wolff: Das ist ein deutlich spürbarer Unterschied. Das haben wir ja jetzt bei „Diebe“ gesehen. Das haben wir die ganze Zeit hier am Haus gespielt und mit einem Mal steht draußen dran „tt10“ – und plötzlich ist eine ganz andere Stimmung.

Inwiefern?
Susanne Wolff: Vorher ist der Abend am Schaukeln, weil er so lustig ist, und die Stimmung ist gut. Während des Theatertreffens wird mit einem prüfenden Auge draufgeschaut. Das ist ausgewählt worden? Das ist bemerkenswert? – Und das wird uns heute Abend aber so was von entgegenwehen.
Daniel Hoevels: Es gibt lustvollere Veranstaltungen.

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Anna Pataczek

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