Kollektiv-Blog der Jurydiskussion

Das  Theatertreffen neigt sich dem Ende zu, und heute Nachmittag stellten sich die sieben Jurorinnen und Juroren Vasco Boenisch, Wolfgang Höbel, Ulrike Kahle-Steinweh, Ellinor Landmann, Andres Müry, Christine Wahl und Franz Wille den Fragen des Publikums zu den zum Festival eingeladenen Produktionen. Die Theatertreffen-Blog-Redaktion schrieb mit und meldet sich hier mit den multiperspektivischen Best-of-Mitschriften.

17:20 Das Internationale Forum verlautbart per Videoeinspielung seine Favoriten. Der schnell geschnittene Clip klingt wie She She Pop Hip Hop Bop. (LL)

17:26 Andres Müry vermisste Andrea Breths „Zwischenfälle“ am Theatertreffen schmerzlich und will die Regisseurin unter Artenschutz stellen. Franz Wille entgegnet galant Richtung Wien: „Ich möchte mich bei Andrea Breth entschuldigen, sie hat es nicht nötig, unter Artenschutz gestellt zu werden.“ „Oh doch!“, wirft Müry ein. Wie auch immer: Gehört das wirklich zu den Aufgaben des Theatertreffens? Dafür gibts doch den WWF. (FA)

17:34 Andres Müry: „Das ist ein nacheilender Gehorsam.“ (She She Pop einzuladen, in der freien Szene hätten sie sich schon durchgesetzt.) Da hat Herr Müry recht. Und trotzdem freue ich mich über diese gehorsame Entscheidung! (GG)

17:48 Andres Müry legt noch einmal richtig los: „Testament” und „Via Intolleranza” fehlen Handwerk, Professionalität und ästhetische Statements, und sind deswegen nicht theatertreffenwert. (MC)

17.54 Moderatorin Barbara Burckhardt fragt, ob die Wiederentdeckung von „Spaß“ eine Anglifizierung des deutschen Theaters mit sich bringt. Plattere Nationsklischees hört man wohl selten. Schade, wo sie doch anderen Begriffen wie dem „Dokumentarischen“ oder „Konsens“ sehr präzise nachspürt. (LL)

17:55 Andres Müry: „Unter seiner (Fritschs) Clownsmaske versteckt sich der Moralist.“ Burckhardt: „Das würde er jetzt aber nicht gerne hören.“ (GG)

17:59 Barbara Burckhardt: „Warum ist dieses Theatertreffen so konsensfähig?” Das fand ich auch, dieses Jahr war alles sehr zahm: total publikumsfreundlich. Außer „Die Beteiligten”. Ich habe niemanden gesehen, der mitten in der Vorstellung rausgegangen ist. Ich will mich manchmal im Theater zum Wegrennen provoziert fühlen. Jurorin Ulrike Kahle-Steinweh fand manches,  z.B. „Verrücktes Blut”, aber laut und fordernd. (MC)

18:08 Franz Wille: „Ich habe in dieser Dresdner Don Carlos-Inszenierung den Plot zum ersten Mal überhaupt richtig verstanden. Sie ist nicht einfach eine x-beliebige Aktualisierung, sondern kreist um die Kernfrage: Was heißt Freiheit? Es ist ein Todesspiel um die Freiheit, ein Freiheitsendspiel.“ Das haben Sie schön auf den Punkt gebracht, Herr Wille, aber steht das nicht schon im Reclam-Interpretationsbändchen zum Stück? Aber richtig, dieser Don Carlos ist Schiller-Essenz in voller Blüte. (FA)

18:15 Eine Frau steht auf und stellt eine Frage auf Englisch: „Warum gibt es keine Dramatiker_innen beim diesjährigem Theatertreffen, keine Gegenwartsdramatik, keine sozusagen ‚reinen‘ Inszenierungen neuer Stücke?“ Mit dieser Frage will sie einfach nur wissen: Warum schreiben und inszenieren Sie neue Stücke nicht wie bei uns in Amerika? Ich wundere mich, denn es gibt doch neue Stücke beim Theatertreffen 2011: „Verrücktes Blut”, „Die Beteiligten“ und „Das Werk / Im Bus / Ein Sturz“. Und zwei weitere sind Uraufführungen, wenn auch nicht von „Stücken“: „Testament“ und „Via Intolleranza II“. „Verrücktes Blut“ ist „dramatisch” geschrieben und inszeniert, mit Dialog und Charakteren und so weiter. Nur solche Stücke würde man in den U.S.A. oder England sehen. Aber Stücke ohne Dialog und Charaktere sind doch auch Stücke und zwar meiner Meinung nach bemerkenswertere. Man muss manchmal seinen amerikanischen Horizont erweitern. (MC)

18:21 Ein Stipendiat des Internationalen Forums schließt sich „Herrn Spüry“ (Andres Müry) an. Er vermisst ein klares Profil des Theatertreffens, und wendet ein, dass man relativ zufällig an den Rändern der freien Szene kratze, um sich einen modernen Anstrich zu geben. Das Gefühl habe ich auch. Irgendwie ist mir ein Konservativer, der dazu steht, auch sympathischer als etwa Vasco Boenisch, der meint, man müsse alles immer ganz „post-ideologisch“ sehen. (LL)

18:27 Wolfgang Höbel: „Kritiker sind Egosäue und glauben, dass ihre subjektive Meinung die einzig richtige ist.“ Vielen Dank für ein bisschen Offenheit und Selbstironie, Herr Höbel! (GG)

18:28 Wie soll man Inszenierungen beurteilen, emotional oder rational? Ulrike Kahle-Steinweh: „Ich bin bekannt dafür, dass ich emotional argumentiere, und ich finde das auch nicht schlecht. Ich bin durchaus in der Lage, meine Empfindungen mit Intellekt und Theorie zu untermauern.“ Das ging wohl in Wolfgang Höbels Richtung, der Kahle zuvor als „gefühlig“ abgetan hatte, als sie Andrea Breths „Zwischenfälle“ als „kalt“ beschrieb. (FA)

18:30 Ein weiterer Forumsteilnehmer meldet sich: „Ich fand den Kirschgarten total langweilig.“ Langsam wird’s wirklich langweilig. Haben die sich abgesprochen? Das ist jetzt bestimmt schon das fünfte fast gleichlautende Statement! Es ist ja völlig in Ordnung, die Auswahl zu kritisieren – aber dann bitte mit Argumenten! (FA)

18:32 Barbara Burckhardt schließt das Publikumsgespräch mit der Jury charmant: „Gibt es noch Wortmeldungen von da unten?“ Wir da unten vom Blog klappen die Laptops zu. (FA, GG, LL, MC)

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Fadrina Arpagaus, geboren 1980 in Zürich, studierte Germanistik und Philosophie in Zürich und Berlin. Während ihres Studiums hospitierte und assistierte sie am Schauspielhaus Zürich u.a. bei Christoph Marthaler, Christoph Schlingensief und Schorsch Kamerun und in der freien Szene Berlins. Danach begann sie eine Dissertation mit dem Titel „Radikale Gefährdung. Subjektkonstitutionen in Theatertexten des 21. Jahrhunderts“ und arbeitete als Journalistin, unter anderem für "der Freitag" und Kulturkritik.ch. Zurzeit ist sie als Dramaturgieassistentin und ab nächster Spielzeit als Dramaturgin am Theater Basel engagiert, wo sie für das Schauspiel den Blog entworfen hat.

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Grete Götze

Grete Götze hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft sowie deutsche und französische Literaturwissenschaft studiert und war Redakteurin bei der Frankfurter Rundschau. Für den Hessischen Rundfunk arbeitet die freie Journalistin als Filmemacherin u.a. beim ARD-Kulturmagazin „titel thesen temperamente“, außerdem schreibt sie für die FAZ und nachtkritik.de. Sie hat journalistische Nachwuchsprojekte etwa bei der Theaterbiennale „Neue Stücke aus Europa“ und an der Mainzer Universität geleitet und ist Alumni des Berliner Theatertreffen-Blogs.

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Leopold Lippert, geboren 1985 in Mistelbach (Österreich), studierte Anglistik und Amerikanistik in Wien und Washington, DC. Nach einigen Unijobs arbeitet er momentan an seiner Dissertation zu Amerikanisierung und Performance. Er lebt in Wien, schreibt über Theater in wissenschaftlichen Zeitschriften, beim Online-Magazin fm5.at und auf seinem Blog.

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Matt Cornish, geboren 1983 in Los Angeles, hat einen Master of Fine Arts in Dramaturgie und Theaterkritik der Yale School of Drama. Derzeit macht er in Yale seinen Doctor of Fine Arts, dieses Jahr in Berlin im Rahmen eines Fulbright-Stipendiums. In seiner Dissertation untersucht er, wie deutsche Regisseure und Dramatiker seit 1989 die Geschichte der deutschen Teilung im Theater benutzt oder dargestellt haben. Er schreibt unter anderem für die Zeitschriften Theater, PAJ: A Journal of Performance and Art und TheatreForum.

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