Kunstmittel oder Beleidigung? Vier Stimmen zum Blackfacing in der „Heiligen Johanna der Schlachthöfe“

Ich schreibe diesen Blogpost, weil ich mir eine Diskussion wünsche. Das Theatertreffen zeigt zehn bemerkenswerte Inszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum, die im jeweils vorangegangenen Jahr ausgewählt worden sind. In diesem vorangegangenen Jahr 2012 war neben der Premiere der „Heiligen Johanna der Schlachthöfe“ noch etwas anderes in den Feuilletons und in der Netzwelt bemerkenswert: Die Debatte um das Theatermittel des „Blackfacing“ auf deutschen Bühnen. Sie war laut geworden als Dieter Hallervorden und ein schwarz angemalter Joachim Bliese Anfang 2012 mit rassistischen Plakaten Werbung für das Theaterstück „Ich bin nicht Rappaport“ am Berliner Schlosspark-Theater gemacht haben. Im Zuge der Debatte bildete sich die Aktivisten-Gruppe Bühnenwatch, die „sich zum Ziel gesetzt hat, rassistische Praktiken an deutschen Bühnen zu beenden“, so steht es auf ihrer Webseite. Sie beobachtet die Vorkommnisse und greift immer wieder in die Diskussion ein.

Zum Theatertreffen 2013 ist „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ in der Inszenierung von Sebastian Baumgarten vom Schauspielhaus Zürich eingeladen. Auf der Seite der Berliner Festspiele zu dem Brechtschen Wirtschaftsklassiker kündigt ein Foto die Aufführung an, auf dem eine schwarz geschminkte weiße Schauspielerin in der Rolle der Frau Luckerniddle zu sehen ist – Blackfacing par excellence. Bis jetzt hat es noch keine Diskussion darum im Rahmen des Theatertreffens gegeben, und das, obwohl die öffentliche Debatte noch so jung ist. Wo ist diese Diskussion? Ich unternehme den Versuch, vier verschiedene Stimmen hier zu Wort kommen zu lassen, Simone Dede Ayivi und Atif Hussein von Bühnenwatch, Sebastian Baumgarten, Regisseur, und Andrea Schwieter, Dramaturgin bei der „Heiligen Johanna der Schlachthöfe“, in genau der Reihenfolge, in der ich die Gespräche geführt habe.
Heute Abend findet übrigens um 22.30 Uhr das Publikumsgespräch zur Inszenierung in der Bornemann Bar/Oberes Foyer im Haus der Berliner Festspiele statt, Eintritt frei.

Simone Dede Ayivi, Kulturwissenschaftlerin und Theatermacherin, Teil des 2012 gegründeten Kollektivs Bühnenwatch:

Wenn ich das Ankündigungsbild für „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ auf der Homepage der Berliner Festspiele sehe, mit diesem „Ganzkörper-Blackfacing“, dieser schwarz angemalten Frau, fühle ich mich schon ausgeladen! Da komme ich gar nicht auf die Idee, mir das Stück anzusehen. Auch am Neuen Theater Halle, wo das N-Wort groß über dem „Othello“ in der Inszenierung von Wolfgang Engel stand, war das für mich gleichbedeutend mit: Ich als schwarze Person bin nicht eingeladen. Es ist schon ein aggressiver Akt, die ganze Zeit auf den Vorankündigungen ein schwarz angemaltes Gesicht zu sehen, wie es ja beim Berliner Schlosspark-Theater war. Man stieg in die U-Bahn und da hing dann gleich Joachim Bliese mit diesem schwarzen Gesicht, das war wirklich beleidigend. Beim Theatertreffen ist es jetzt auch so: In der Vorankündigung auf der Homepage der Berliner Festspiele ist sofort ein Bild mit dieser Frau zu sehen! Was sagt es eigentlich über die Kulturszene in diesem Land aus, wenn es nicht möglich ist, zehn bemerkenswerte Inszenierungen zu finden, die alle zehn ohne Blackfacing auskommen? Ich kann mir auch vorstellen – aber das ist meine persönliche Verschwörungstheorie –, dass die Stimmung zur Zeit so ist, dass gerade wegen der Debatte solche Inszenierungen eingeladen werden. Als Provokation oder aus Protest. Weil die Jury meint, dass man mit einer solchen Einladung die Kunstfreiheit rettet, die angeblich eingeschränkt wird, wenn man sich gegen rassistische Darstellungen auf der Bühne entscheidet.

Atif Hussein 
ist Szenograph und Regisseur und Teil von Bühnenwatch:

Blackfacing ist ein vergiftetes Mittel. Nicht nur aufgrund der Geschichte, sondern auch aufgrund der Gegenwart, es erfüllt ja nicht nur in der Gegenwart den Zweck der rassistischen Karikatur oder Propaganda, (dafür ist es ja erfunden worden), sondern es betreibt zusätzlich Exklusion. Schwarze Schauspielerinnen und Schauspieler und diejenigen of colour werden im deutschsprachigen Raum systematisch von den Bühnen fern gehalten. Wenn Michael Klammer, einer der wenigen schwarzen Schauspieler, den Wurm in „Kabale und Liebe“ am Maxim Gorki Theater spielt, dann sagen einige, das hätte eine Bedeutung! Was denn für eine?! Erstens hat es in der Inszenierung von Florian Fiedler nicht die geringste Bedeutung, und zweitens, welche sollte es denn auch haben?! Aber das ist das Paradoxe: Wenn die Figur, weil sie so geschrieben ist, angeblich verlangt, dass Darsteller schwarz angemalt werden, dann soll es nur dazu dienen, die Figur kenntlich zu machen, aber wenn ich einen schwarzen Schauspieler als Hamlet besetze, dann hat das auf einmal eine Bedeutung! Das große Problem ist, dass immer davon ausgegangen wird, dass Weiße unmarkiert sind, aber alles andere kenntlich gemacht werden muss, denn es weicht eben davon ab. Es gibt ja nicht nur Blackfacing, es gibt auch Yellowfacing, Brownfacing, Redfacing … Dadurch, dass Sebastian Baumgarten generell auf Verkleidung und Verfremdung setzt, wird es schwer, diese Kritik anzubringen. Denn es wird immer das Argument kommen „Aber die sind ja alle verkleidet“. Daran merkt man auf der einen Seite wie komplex es ist, und auf der anderen Seite wie kompliziert es ist, in die Köpfe reinzukriegen, was da eigentlich gemacht wird. Ich höre schon Sätze wie: „Ja, die Luckerniddle (die schwarz geschminkte Figur (Anm. d. Redaktion) ist bei uns eine Schwarze, weil: … Wie „weil“? Alles was nach dem Doppelpunkt kommen kann, ist ja schon Quatsch!

Das erneute Auftauchen von Blackfacing ist, besonders vor dem Hintergrund der im vergangenen Jahr geführten Debatte, jedes Mal wieder ein Schlag ins Gesicht. Es gab mehrere Inszenierungen im deutschsprachigen Raum, die, nachdem im vergangenen Jahr die Diskussion erneut hochkochte, das Mittel des Blackfacing noch einmal neu eingesetzt haben. Da war zum Beispiel die „Lulu“-Inszenierung an der Deutschen Staatsoper von Andrea Breth vor einem Jahr zu den Festtagen der Staatsoper, und Jürgen Flimm, der Intendant, erklärte, das liege an der „Werktreue“, der man sich verpflichtet fühlt. Was natürlich totaler Quatsch ist bei der Inszenierung. 
Die meisten Inszenierungen, in denen versucht wurde, Blackfacing ironisch einzusetzen, sind daran grandios gescheitert. Zwei Inszenierungen aus den letzten zwölf Monaten fallen mir ein, die auf die Debatte reagiert haben: die eine war „Unschuld“ von Michael Thalheimer am Deutschen Theater und die andere war „Die Liebe zu den drei Orangen“ von Sergej Prokofjew an der Deutschen Oper.

Sebastian Baumgarten, Regisseur der „Heiligen Johanna der Schlachthöfe“:

Für mich ist es wichtig, deutlich zu machen, dass das System, in dem wir leben, rassistische Bedingungen produziert. Wir haben uns gefragt, wie kann man heute noch eine Arbeiterklasse auf der Bühne darstellen? Denn der Kapitalismus funktioniert heute global, anders als zu Zeiten Brechts. Es ging uns bei der Gestaltung der Figuren um ein bewusstes Spiel mit Zeichen, um in die relativ historische Anlage des Stoffes bei Brecht eine globalisierte Welt mit hineinlegen zu können.

Die Spielweise funktioniert über Überzeichnungen, die auf allen Ebenen stattfinden, ich habe unter anderem das Blackfacing bewusst als Mittel der Darstellung benutzt und zwar der überhöhten Darstellung. Das ist ein Mittel der Kunst. Im Wesentlichen ist die Debatte ja total interessant: Wieso ist es nicht selbstverständlich, dass in unseren Ensembles eine globalisierte Gesellschaft abgebildet wird? Was hat das mit der deutschen Gesellschaft zu tun?! Aber wenn ich jetzt auf der Bühne für bestimmte Stoffe in sehr konkreten Zusammenhängen bestimmte ästhetische Mittel aus moralischen Gründen nicht mehr zeigen kann, die ich aber eigentlich zeigen möchte, dann ist das allerdings ein Problem. Das ist die Freiheit der Kunst, und da muss ich es einfach mit Schiller halten, da ging es in der Welt des Scheins immer um eine radikale Ansage der Unmoral auch in der Darstellung.

Es geht um die Frage der Darstellung, und wir reden ja nicht nur über Blackfacing, man könnte mir auch Antisemitismus vorwerfen, wenn einer der Kapitalisten eine Szene lang mit einem jüdischen Akzent spricht. Die ganze Arbeit funktioniert darüber, dass man mit diesen popkulturellen Klischees eine Narration startet, an deren Ende man doch auch mit Brecht die Verhältnisse, die er da beschreibt, desavouiert.

Wenn auf der Bühne eine Karikatur entsteht und sich der Kollege oder die Kollegin, die farbig ist, darüber beklagt, hat sie oder er mehr als Recht. Das Entscheidende ist, dass die Person, die auf der Bühne steht und den Russen oder die Afrikanerin mit voller Emotionalität spielt, keine Karikatur spielt. Eine überhöhte Darstellung ist keine Karikatur, dann gäbe man die Figur auf, und da wäre ich der erste, der als Regisseur dafür sorgt, dass das nicht passiert. Sobald eine Karikatur daraus wird, ist jede Kritik angebracht. Und da muss man dafür sorgen, dass da mit Verantwortung umgegangen wird. Weil es durchaus ein überhöhtes Mittel ist, das auch ein Unbehagen auslösen kann. Das ist uns aber klar. Würde ich mit psychologischem Realismus in der Figurengestaltung arbeiten, würde ich das Mittel des Blackfacing natürlich gar nicht benutzen, aber bei mir funktioniert die Spielweise ganz anders.
Die Heilige Johanna der Schlachthöfe ist ein Stück über den Kapitalismus! Und die Bedingungen, unter denen Formen von Rassismus entstehen, die kommen aus den an Mehrwert orientierten ökonomischen Strukturen. Und dadurch, dass wir Brecht machen und diese Verhältnisse angreifen, haben wir dazu eine ganz klare Haltung.

Andrea Schwieter, Dramaturgin der Inszenierung „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“  bei der Inszenierung von Sebastian Baumgarten:

Brechts Kapitalismusbild von 1929 ist nicht mehr eins zu eins auf heute übertragbar: Arbeiterklasse und Chefetage sind in den seltensten Fällen noch im selben Gebäude anzutreffen. Im Zuge der Globalisierung wird Arbeit zunehmend in andere Länder und Kontinente ausgelagert. Der Kapitalismus funktioniert heute, im Unterschied zu damals, global. Es ging darum zu zeigen: Wer leidet unter dem absoluten Megakapitalismus? Und das ist tatsächlich die „Dritte Welt“. Es geht uns bei der Darstellung der Afrikanerin um eine globale Repräsentation, wir sprechen explizit nicht vom „Migranten“. Es geht um die Repräsentation von Kontinentalbeziehungen und nicht um die Repräsentation von Beteiligten innerhalb der Arbeiterklasse mit migrantischem Hintergrund!
Zusätzlich ist es ja so, dass die Figur der Frau Luckerniddle zu den Kommunisten überwandert und eigentlich auch eine Form von intellektueller Anführerin und Klassenkämpferin wird. Sie wird das Gegenteil einer Unterdrückten.

 

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Henrike Terheyden

kendike.wordpress.com

Henrike Terheyden, geboren 1984 in Münster, hat in Hildesheim und Paris Kulturwissenschaften und Ästhetische Praxis mit dem Schwerpunkt Bildende Kunst studiert. Sie lebt und arbeitet in Dresden als Bühnen- und Kostümbildnerin sowie als Zeichnerin für ihr Label KENDIKE. Sie ist Mitglied des freien Theaterkollektivs theatrale subversion, http://theatrale-subversion.de/wordpress.

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