Typologie der szenischen Lesung mit eingebetteter szenischer Lesung

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Was tun, wenn man ein Theaterstück zwar zeigen, es aber dabei nicht (ur-)aufführen will oder kann? Das, was auf allen Stückemärkten des Landes getan wird: szenische Lesungen. Vier Jahre nachdem ich mich im Geburtsjahr des tt-Blogs zusammen mit dem Kollegen Johannes Schneider auf, naja, „experimentelle“ Art (da gibts auch die Textvorlage zum Download) mit dieser Form auseinandergesetzt habe, folgt nun anlässlich der Stückemarkt-Eröffnung in der Pan-Am-Lounge gestern der Versuch einer Systematisierung. Ergänzungen erwünscht.

Anhand der deutschen Dramatik-Plattformen lässt sich die szenische Lesung bisher wie folgt typisieren:

A) Die Heidelberger Handwerks-Lesung: Die Schauspieler lesen ganz „pur“ und konzentriert am Tisch, mit Textbuch aber ohne Requisiten. Das Spiel beschränkt sich auf Blicke und verhaltene Emotionen. (siehe Heidelberger Stückemarkt; Anm. d.R.: Hier sind die Videos zu sehen, die Matthias Weigel dieses Jahr für den Videoblog des Heidelberger Stückemarktes gedreht hat)

B) Die Berliner Hipster-Einrichtung: meist eine kleine, halb-auswendig gespielte Inszenierung mit angedeutetem Bühnenbild und hochkarätigen Schauspielern. (siehe Stückemarkt des Theatertreffens)

C) Die Khuon’sche Pseudo-Uraufführung: Ist eigentlich eine vollwertige Inszenierung mit großem Ensemble und Bühnenbild. Dadurch manchmal sogar aufwändiger und versierter als die folgende Uraufführung (die sich aber dann erst so nennt). Siehe Autorentheatertage, mit Ulrich Khuon von Hamburg nach Berlin umgezogen.

Zu A)
Die vielleicht heimtückischste Variante. Denn die Heidelberger Handwerks-Lesung tut so, als könne man einen Text neutral vortragen, als würde die Lesung nur die Texte zum Klingen bringen. Dass dafür eigens Strichfassungen erstellt werden, sei geschenkt. Trotzdem fängt die Interpretation spätestens da an, wenn ein Text (oder gar eine Textfläche) auf verschiedene Schauspieler verteilt werden muss, wo ein Wendepunkt herausgestellt wird, wo in den Ton eine Haltung gelegt wird. So entstehen sehr unterschiedliche Lesungs-Erlebnisse, bei denen der arglose Zuschauer vielleicht nicht mal realisiert, dass nur die Lesung lustiger war, aber nicht der Text (oder andersherum), da eine gewisse Neutralität und Chancengleichheit vorgetäuscht wird.

Zu B)
Das Theatertreffen-Stückemarkt-Phänomen ist, dass man immer ein bisschen den Eindruck hat, man beobachte die deutschsprachige Schauspieler-Elite beim Betriebsausflug. Da wird ein bisschen rumimprovisiert, unterspannt geschäkert, sich gefeiert; man weiß um die Qualitäten der anderen, man kann nicht tief fallen. In den besten Fällen ist die Gaudi im Sinne des Stückes; in den schlechtesten Fällen wird sich über den Text lustig gemacht und er nur für eigene Pointen benutzt. Das Event steht hier jedenfalls in starker Konkurrenz zum Text. Aber in diesem Jahrgang hat man sich ja sowieso von vornherein zum Event bekannt.

Zu C)
Auch die Autorentheatertage können meist mit einem hochkarätigen Ensemble aufwarten, die aber angesichts ihrer Aufgabe schon wesentlich konzentrierter zur Sache gehen. Sie spielen immerhin eine „vollwertige“ Inszenierung, auch wenn es davon nur genau eine Aufführung gibt. Aus Rücksicht auf den Credit wird das dann aber nicht „Uraufführung“ genannt, was lediglich politische/verlegerische/monetäre Gründe hat. Dadurch ist die Khuon’sche Pseudo-Uraufführung manchmal sogar aufwändiger und versierter als die darauffolgende Uraufführung. Die Khuon’sche Pseudo-Uraufführung ist somit als Grenzfall anzusehen und nur bedingt zu den szenischen Lesungen zu zählen.

To be continued.

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