Unterwegs zur Sprache

Mit ihrer Performance „RETORIKA“ haben Bara Kolenc und Atej Tutta am gestrigen Abend den Stückemarkt beschlossen - und direkt auch den Werkauftrag-Pitch gewonnen! Unsere Autorin überzeugten vor allem die starken Bilder.

„Metamorphoses 3°: RETORIKA“, der Abschlussbeitrag des diesjährigen Stückemarkts, ist eine zwischen Installation, Museum und Performance changierende Gesamtkomposition, die sich Zeit lässt – und dabei doch nicht langweilig wird.

Dunkel ist es auf der Hinterbühne des Hauses der Berliner Festspiele. Schwarzer Boden, schwarzer Vorhang. Ein konstantes Rauschen liegt in der Luft – wie ein leises Dröhnen. Als sich der schwarze Vorhang hebt, kommt gelbes Licht zum Vorschein, das kantige Gegenstände anstrahlt, die Kisten sein könnten (und sich später als Lautsprecherboxen entpuppen). Langsam schälen sich weitere Objekte aus dem Dunkel – drei hohe Stapel Matratzen und etwas, das wie eine große Puppe mit einer Holzmaske und sehr langen Beinen aussieht (und sich später als Büste auf einem hohen Sockel herausstellt). Nebel wabert durch die Luft und bricht das Licht. Mehrere Minuten vergehen, während die Konturen langsam schärfer werden.
Bis dahin ist kein Mensch auf der Bühne zu sehen oder zu hören. Dann ein lauter, dumpfer Knall. Einige Matratzen werden von hinten kräftig angeschubst, sodass sie zu Boden fallen. Eine Frau kommt zum Vorschein. Sie spricht nicht. Erst nach einer Weile klettert sie über die Matratzen und tritt zu einem Standmikrofon. Sie beugt sich vor, setzt zum Sprechen an – und scheitert an einem dröhnenden Störgeräusch. Mehrmals. Pumpender Industrial-Sound setzt ein, eine zweite Frau erscheint. Wieder wird ein Kommunikationsversuch unternommen, die Frauen versuchen, einander etwas ins Ohr zu flüstern – und scheitern, dieses Mal an einer Nebelwand. Dann an Matratzen, die zwei weitere Performer zwischen sie schieben, sodass die Frauen immer weiter voneinander getrennt und ihre Worte von den Objekten zwischen ihnen erstickt werden. Schließlich fallen die Matratzen – fünfzehn an der Zahl – um und begraben eine der Performerinnen unter sich. Danach ertönt die Europahymne.

Gefangen im Mikrofonwald

Diese Szenen sind der Auftakt der einstündigen Performance „Metamorphoses 3°: RETORIKA“, die 2015 in Ljubljana Premiere feierte und von der Philosophin, Performerin und Choreografin Bara Kolenc und dem Künstler Atej Tutta entwickelt wurde. RETORIKA ist Teil des Langzeitprojektes „Metamorphoses 1°- 5°“, das sich in verschiedenen künstlerischen und theoretischen Formaten, angelehnt an Ovids „Metamorphosen“, mit aktuellen politischen und sozialen Phänomenen beschäftigt. Laut Pressetext der Berliner Festspiele steht im Zentrum von RETORIKA der „gegenwärtige Gebrauch und Missbrauch von Rhetorik in Politik, Medien und Markt“.

Das ist gut zu wissen. Denn die Performance kann leicht überfordern mit ihrer Fülle von Assoziationen, Anspielungen und Zitaten, die nicht immer leicht einzuordnen oder dechiffrierbar sind. So werden beispielsweise Texte von Albert Einstein rezitiert, Reden der slowenischen Regierung gehalten und Brücken zwischen den 1940er-Jahren und 2013 mit einer surrealen Familiengeschichte geschlagen. Häufig ist von Gefängnissen und Recht die Rede und von jemandem, der/die Love Prenner heißt und Anwalt in Ljubljana ist. Dass die Performance in englischer Sprache gezeigt wird (ein Zugeständnis an das internationale Publikum, die Originalperformance findet in slowenischer Sprache statt), tut ihr Übriges – teilweise sind die Sprechpassagen akustisch so unverständlich, dass es schwierig wird, überhaupt noch mitzubekommen, worüber gesprochen wird.
Aber das ist nicht so schlimm. Denn RETORIKA ist, trotz der thematischen Fokussierung auf misslingende Kommunikation und der Gewalt der Rhetorik, keine sprach- und sprechzentrierte Arbeit. Im Gegenteil: Sprache ist nur ein Element unter mehreren und steht gleichwertig und gleichberechtigt neben Licht, Sound, Raum und Körper. Alle diese Bausteine sind gleich wichtig, sind Akteure mit eigenen narrativen Strukturen. In dieser konsequenten Setzung liegt die große Stärke von RETORIKA: Durch die Ausgewogenheit aller Elemente entstehen starke, poetische Raum-Bilder. Wie die Performerin Sanja Nešković Peršin im Mikrofonwald „Can you hear me?“ in die wie ein Käfig angeordneten hohen Mikrofone raunt, sieht schon beeindruckend aus. Oder wie die Performerin Bara Kolenc vom Klang ihrer eigenen, durch Rückkoppelungen verzerrten Stimme zwischen kreisförmig angeordneten Lautsprecherboxen gefangen ist, bis sie schließlich „silence“ in die Boxen brüllt.

An der Grenze zum Pathos

Zugegeben: Manchmal kitzelt das hart an der Grenze zum Pathos. Einige Passagen sind überdeutlich geraten – wie die eingangs erwähnte Szene mit den fünfzehn Matratzen und der Europahymne, die unverkennbar auf die 15 Mitgliedsstaaten der EU vor der Ost-Erweiterung 2004 verweisen. Andere Sequenzen wie der Auftritt einer Sängerin im Anzug (eine kurze Internetrecherche ergibt, dass es sich um die bereits angesprochene Figur Love Prenner handelt), die majestätisch die Bühne überquert und schließlich die Tore der Hinterbühne öffnet, bleiben rätselhaft. Dennoch ist Bara Kolenc und Atej Tutta mit „Metamorphoses 3° : RETORIKA“ ein visuell starker Abend gelungen, der mit seiner konsequenten Verschmelzung von Sprache, Licht, Sound, Raum und Körper überzeugt.

Metamorphoses 3° : RETORIKA
von Bara Kolenc und Atej Tutta
Performance
Konzept und Realisierung: Bara Kolenc, Atej Tutta
Dramaturgie: Pia Brezavšček
Licht: Peter Pivar, Gregor Smrdelj
Ton: Jernej Černalogar, Jure Vlahovič
Komposition „The Rumours Song“: Matevž Kolenc
Ausführende Produzenten: Julia Danila,  Bara Kolenc
Produziert von Kud Samosvoj
Mit: Bara Kolenc, Sanja Nešković Peršin, Rebeka Radovan (Performer), Matej Markovič, Jošt Pengov-Taraniš, Andraž Zlobec (Performer – Techniker)
Dauer: 1 Stunde

–––

Andrea Berger

Andrea Berger, Jahrgang 1983, studiert Dramaturgie in an der Theaterakademie August Everding. Arbeitet als freie Produktionsdramaturgin, schreibt für das Münchner Feuilleton und assistiert beim Münchner Tanz- und Theaterfestival RODEO 2016. Lebt in München und Wien.

Alle Artikel