Die Macht des Teleprompters

Eine szenische Lesung ist keine Inszenierung! Dennoch ist sie mehr als nur Lektüre: Sie kann einen Text zum Leben erwecken oder aber auch schaden.

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Willkommen im Kindergarten: In der szenischen Lesung von "Das Prinzip Meese" bewies Sandra Hüller Haltung. Foto: Jason Kassab-Bachi

Wie eine szenische Lesung aussieht, haben bereits die Blog-Kollegen Johannes Schneider und Matthias Weigel veranschaulicht. Zur Erinnerung: Schauspieler stehen oder sitzen auf einer Bühne, Manuskript in der Hand, und lesen ein Stück vor. Ein paar Requisiten, beispielsweise ein Bett, eine Flasche oder ein Telefon, werden ihnen manchmal gegönnt.

Nicht immer klebt das Manuskript an der Hand. Bei der szenischen Lesung von Oliver Klucks „Das Prinzip Meese“ am letzten Sonntag wurde der Text per Teleprompter an die Wände vor und hinter das Publikum projiziert. Der Einfall der Regisseurin Claudia Bauer hätte fast zwei Vorteile gehabt: Die Zuschauer hätten dem ohnehin schwierigen Text von Oliver Kluck besser folgen können; die Schauspieler hätten sich freier bewegen, mehr spielen können. Leider machten Letztere nichts daraus – und das Publikum starrte abwechselnd auf zu schnell oder zu langsam durchlaufende Projektionen und auf statisch deklamierende Bühnengestalten: Robert Beyer legte sich zeitweise in eine mit Stofftieren vollgestopfte Badewanne; Astrid Meyerfeldt hüpfte hysterisch herum und verteilte Sekt und Wodka ans Publikum. Der zunächst überheblich wirkende, jedoch aussagekräftige und mutige Text von Oliver Kluck wurde dadurch zu einer dummen poppigen Veranstaltung umgedeutet, was er nicht verdient. Abgesehen von den erwähnten sinnlosen Spielen starrten die insgesamt vier Schauspieler dennoch die meiste Zeit die Wand an und lasen die Wörter hastig herunter, als würde ihnen deren Sinn völlig entgehen. Nur Sandra Hüller schaffte es, einen Tonfall zu finden, als fühle sie, was sie sagt. Damit gab sie den Text zum Nachdenken frei.

Nur kurz davor fügten sich andere Schauspieler in ihre Rollen in Nis-Momme Stockmanns „Der Mann, der die Welt aß“ derart ein, dass sich die Geschichte des Stückes entfalten konnte. Auf der Bühne: fünf Stühle und ein Kleiderschrank. In dem Schrank landete schließlich nicht nur der senile Vater, sondern auch der Sohn. Der Text bekam dadurch eine leichte Komik, etwas Unbeholfenes, ja Menschliches, das den unangenehmen Pathos vom Stück zur Seite drückte. Geht doch.

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Elise Graton

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