Annette Pullens Inszenierung von Nis-Momme Stockmanns „Kein Schiff wird kommen“, einem Werkauftrag des tt-Stückemarkts 2009, wurde gestern einmalig in der Seitenbühne des Hauses der Berliner Festspiele aufgeführt. Vorher nahmen Stockmann und sein Autorenkollege Oliver Kluck den deutschen Theaterbetrieb auseinander – Marktgefälligkeit ist, zumindest am Diskussionstisch, out.
Angriffs-Stimmung beim letztjährigen Stückemarkt-Gewinner Nis-Momme Stockmann: Im Gespräch mit Oliver Kluck und der Leiterin des Theatertreffens Iris Laufenberg sprach er sich aus gegen eine Angleichung an den Mainstream und die Reproduktion ewig gleicher Diskurse und für einen Schritt in eine Richtung jenseits der Gefälligkeiten des Marktes – Theater sei doch eine Nischenkultur, die eben dadurch die Möglichkeit habe, Nischendiskurse zu verhandeln. Nichts fände er im übrigen „abtörnender“ als die kühle und zynische Art und Weise, in der im zeitgenössischen Theater große Gefühle wie die Liebe als begründbares Phänomen dargestellt würden – da sei ihm das oft geschmähte Pathos immer noch lieber. Zu der kürzlichen Nicht-Entscheidung der Jury des Heidelberger Stückemarkts, (der auch Stockmann angehört hatte und die zum Abschluss des Festivals verkündete, kein Stück hätte derart herausgeragt, dass es eine Auszeichnung vor den anderen verdient hätte) hatte er vor allem anzumerken, dass sich die Jury eben nicht einig gewesen sei und dass der Verzicht auf eine Preisvergabe (die Förderung wurde auf alle Autoren in gleichen Anteilen verteilt) daher das Richtigste und Diskursanregendste gewesen sei. Kluck protestierte gegen diese Ansicht – mit der Begründung, er würde sich an der Stelle eines teilnehmenden Autors „verarscht“ fühlen.
Nis-Momme Stockmann hatte noch viel zu sagen und bestand darauf, auszureden: Die spannenderen und den Kulturbetrieb viel geschickter infrage stellenden Überlegungen Klucks (der zum Beispiel anregte, ein Autor dürfe sich durchaus Eitelkeiten – in der Diskussion von Stockmann unsinnigerweise als Synonym für größeres Mitspracherecht des Autors bei Inszenierungen eingeführt – leisten und der auch den klugen und denkwürdigen Gedanken anbrachte, dass Bezahlung vielleicht die beste Form der Autoren-Förderung wäre) gingen dabei leider mehr oder weniger unter.
Anders als die Fähre, mit der der junge Protagonist von Stockmanns im Anschluss auf der Seitenbühne des Hauses der Berliner Festspiele aufgeführten „Kein Schiff wird kommen“ zu seinem Vater auf die Insel Föhr übersetzt, um dort an einem Theaterstück für seinen Verlag zu arbeiten. Den „Gefälligkeiten des Marktes“ folgend, will der junge Autor ein politisches Stück über den Mauerfall schreiben, kommt aber zum Schluss, dass es die kleinen und persönlichen Geschichten sind, die vielleicht viel besser auf dem Theater funktionieren – allen Massengeschmäckern zum Trotz. Stark gekürzt und auf drei Figuren aufgeteilt, bot „Kein Schiff wird kommen“ in der Stuttgarter Uraufführungsinszenierung von Annette Pullen wenig mehr als drei exzellente Schauspieler, die sich mit der ganzen Kraft ihrer Kunst darum bemühten, den zweifelsohne gut gemeinten, aber flachen Text und die unentschieden-inkonsequente Inszenierung durch den Abend zu retten. Gegen die pubertäre Selbstreflexivität des Textes kamen jedoch auch sie nicht an: Bemüht und von realitätsfernen Prämissen ausgehend (die Theaterlandschaft, die Stockmann in seinem Stück zeichnet, hat in ihrer anbiedernden Anspruchslosigkeit auch bei aller Überspitzung nur wenig zu tun mit den tatsächlichen Gegebenheiten des Marktes und zeugt von einer arroganten Ignoranz gegenüber einer sehr wohl politisch und sozial bewussten zeitgenössischen Dramatik), schafft Stockmann unglaubwürdige Konstellationen, indem er die in ihrer kalkulierten Publikumswirksamkeit obendrein abgeschmackt verhandelte Thematik einer Familientragödie und die zu Stichwortgebern degradierten Figuren einem um sich selbst kreisenden Gedankenexperiment opfert. Zu keinem Zeitpunkt wurde deutlich, ob hier eine verkappt-kritische Meta-Reflexion über ein politisch rat- und haltungsloses und sich folglich in die vermeintlich „menschenliebende“ Atmosphäre des belanglos Privaten flüchtendes Theater entstehen sollte oder ob hier tatsächlich die Läuterung eines blinden Egozentrikers gezeigt werden soll, der, anfänglich selbstverliebt, plötzlich lernt, auf die Menschen zu blicken und die „großen Geschichten“ im Kleinen zu finden. Schlussendlich blieb der Abend jedoch gänzlich gehaltlos: jedwede interessante Fragestellung wurde dadurch bereits im Keim erstickt.
Deutlich wurde nur, dass eine derartige Flucht ins Private auf dem Theater nichts, nichts und wieder nichts mit einer dem Menschen gewidmeten Kunst zu tun hat, sondern ganz im Gegenteil eitel, abgebrüht und ich-bezogen zugunsten eines selbsterdachten Einzelfalls aktiv und aufs Fatalste größere Zusammenhänge negiert – und damit im übrigen auf erfolgreichste Weise dem breiten Markt gefällig ist.