Am Samstag und Sonntag fand der erste Themenschwerpunkt mit dem Titel „Focus Arrival Cities – Willkommensland Deutschland?“ statt. Unsere Autor*innen haben sich die Talks, Diskussionen und Vorträge angehört und ihre jeweiligen Eindrücke in Kurzstatements festgehalten.
Skeptische Hoffnungen
Worum genau kreisten sie eigentlich, die drei Diskussionsrunden am Eröffnungswochenende des diesjährigen Theatertreffens? Zunächst blamierten sich die Theaterschaffenden und redeten hinsichtlich der Frage, wie viel Sozialarbeit das Theater in der aktuellen Flüchtlingssituation als Institution und Kunstform leisten oder unterlassen soll, uninspiriert aneinander vorbei. Den Tiefpunkt bildeten dabei die mehrfachen ungefragten Anläufe des Regisseurs Michael Thalheimer, seine Privatabneigung gegen die Neuausrichtung der Münchner Kammerspiele zum Thema zu machen und dabei äußerst unglaubwürdig zu behaupteten, es ginge ihm noch um die Sache. Leider tat sich in dieser Gesprächsrunde insgesamt eine unbehagliche Provinzialität des theaterinternen Diskurses auf. Als Carolin Emcke zum Auftakt des anschließenden Panels mit Gesine Schwan, Esra Küçük, Ulrike Guérot und Jochen Oltmer in einem Impulsvortrag die schmeichelhafte These äußerte, die Theater seien derzeit die einzigen Orte, an denen überhaupt noch eine offene Diskussion gesellschaftspolitischer Fragen stattfinde, wollte man ob des zuvor Erlebten vor Scham im Boden versinken.
Erfreulicher Weise gelang es dieser Gesprächsrunde aber, das Thema breiter zu fassen und dennoch zu konkreteren Aussagen zu gelangen. Insbesondere Gesine Schwan vollbrachte das Kunststück, die Frage nach der Situation Deutschlands als Einwanderungsland gleichermaßen schonungslos offen wie zuversichtlich zu beantworten. Denn die Gesellschaft ist in den letzten Monaten nicht nur in den Kreisen von AfD, Pegida & Co in Bewegung geraten. Auch auf der anderen Seite und womöglich sogar jenseits der Pole Links und Rechts fand eine enorme Politisierung und Mobilisierung statt. Demzufolge – das wurde auch im Sonntagsgespräch mit Liane Bednarz, Falk Richter, Miriam Tscholl und Hans Vorländer zu Rechtspopulismus in Deutschland deutlich – ist die dystopische Geisteshaltung wohl auch ein bequemer Weg, mit all dem derzeit Ungeklärten fertig zu werden. „Diese Krise“, hatte Jens Hillje in einer der wenigen brauchbaren Äußerungen des ersten Panels noch gemeint, „wird nie wieder aufhören – zumindest nicht in den nächsten 15-20 Jahren.“ Wenn er und viele der anderen Diskutant_innen mit dieser Prognose Recht behalten, stehen wir gerade erst am Anfang eines langen gesellschaftsweiten Aushandlungsprozesses, von dem man – und diese Angst war in den Gesprächen immer wieder spürbar – in Skepsis hofft, dass er friedlich und ohne die Suspendierung demokratischer Grundrechte, wie beispielsweise der Kunstfreiheit, ablaufen möge. (Falk Rößler)
Stellungskrieg
Die Gesprächsrunde „But Is That Art?“ mit Dirk Baecker (Soziologe), Stefanie Carp (Dramaturgin, Deutsches Schauspielhaus Hamburg), Jens Hillje (Ko-Intendant Maxim Gorki Theater) und Michael Thalheimer (Regisseur) am Samstag sollte sich unter der Moderation von Christine Wahl um „Theater zwischen Kunst und Sozialarbeit“ drehen. Darüber wurde auch gesprochen. Dummerweise nicht miteinander. Denn erstaunlich schnell mutierte die Gesprächsrunde zu einem „Stellungskrieg“ (© Falk Rößler), in dem die Protagonist*innen hauptsächlich damit beschäftigt waren, ihre eigenen, klar feststehenden Positionen zu verteidigen. Das Nicht-Eingehen aufeinander und das reflexhafte Abblocken konträrer Meinungen verhinderten einen offenen, konstruktiven Austausch und damit auch die Chance, neue Ansätze zum Thema zu entwickeln. Das klingt bekannt – aus anderen Zusammenhängen. Bei „But Is That Art?“ zeigte sich: Strukturprobleme gesamtgesellschaftlicher Tragweite sind an einem anderen Ort zu finden, als sie gesucht werden. (Andrea Berger)
Niemand bringt mich so gut ins Bett wie Anne Will
Ihre spöttisch und doch liebevoll gefalteten Mundwinkel und ihre nussbraunen Augen wiegen mich in den Schlaf, nachdem ich einem komprimierten Deutschland dabei zusehen durfte, wie nicht diskutiert wird. Selbst wenn Frauke Petry eingeladen war, schlafe ich gut danach. Wobei Andrian Kreye, Leiter des Feuilletons der Süddeutschen Zeitung, natürlich Recht hat, wenn er auf Facebook fragt: „Welcher Crystal Meth-gedopte Marktforscher sorgt eigentlich dafür, dass Frauke Petry und die von Storch ihren menschen- und verfassungsfeindlichen Irrsinn andauernd in der ARD ‚vernünftig äussern’ dürfen?“ Natürlich ist das die Gretchenfrage: Bietet man den Anderen auch eine Plattform oder nicht?
Bei der Diskussion „Kein Sommermärchen“ zwischen Liane Bednarz (Autorin), Falk Richter (Regisseur), Miriam Tscholl (Leiterin der Bügerbühne in Dresden) und Hans Vorländer (Politikwissenschaftler) über den Themenkomplex Theater, Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit vernahm man schon leichte Schnappatmung im Publikum als Bednarz den im Theatermillieu wohl nicht oft gehörten Satz sagte: „Ich bin keine Linke“. Wahnsinn, das ist Perspektivenvielfalt. Die einzige Kontroverse bestand darin, dass Vorländer darauf bestand, dass Dresden rein zahlenmäßig nicht ausländerfeindlicher sei als andere Städte, was Tscholl auf dem Gegenteil bestehen ließ.
Danach bin ich, was mir von den Blog-Kolleg_innen Lachen und Unverständnis einbrachte, nach Hause gefahren, um mich von Anne Will ins Reich der Träume singen zu lassen. Es waren allerdings Alpträume. Nicht wegen Anne. Nicht wegen Frauke. Sondern weil mein Unterbewusstsein mich fragte: Wann hast du eigentlich mal eine gute, also wirkliche Diskussion erlebt? (Xaver von Cranach)
This is art
Ja, was ist jetzt besser? Gute Sozialarbeit oder schlechtes Theater? Das war ja mal die Diskussion. Was Matthias Lilienthal denkt, wissen alle schon. Sein Motto „Gute Sozialarbeit ist besser als schlechtes Theater“ tobte ja im Vorfeld durch das beflissene Feuilleton. Was Michael Thalheimer denkt, wissen nach spätestens zehn Minuten auch alle. Seine dynamithaltigen Stellungnahmen finden ihren Höhepunkt mit verschränkten Armen in dem wehleidigen Satz: „Ich fühle mich in die Ecke gedrängt.“ Die Dränger (Jens Hillje, Barbara Burckhardt und Stefanie Carp) finden außer der Anti-Thalheimer- auch keine wirklich bequeme Pose auf den Bänken des Camps. Und weil es ja so schwierig ist, über Flüchtlinge auf einer Theaterbühne und das dazugehörige „ob“ zu diskutieren, gehen wir doch mal back to the roots, denn wie Thalheimer so schön aphorisierte: „Es gibt gutes Theater und es gibt schlechtes Theater.“ Genau. Zeit für die Runde, mal ihre Kulturempfehlungen der Woche abzugeben. Verehrtes Feuilleton, hier die Camp-Bestsellerliste:
Jens Hillje: Tyrannis („Es ist gibt eine Komplexität, die, wie man sie zu lesen hat, eine Herausforderung ist.“)
Peter Laudenbach: Stolpersteine Staatstheater („Das ist nicht Konsens.“)
Dirk Baecker: Mittelreich („Da sehe ich ein Theater auf dem Punkt seiner größten Fähigkeit.“)
Michael Thalheimer: The Revenant („Der hat mich komplett anders rausgehen lassen, als ich reingegangen bin. Wollt ich nur so als Empfehlung geben, falls ihn jemand noch nicht gesehen hat.“)
(Marlene Knobloch)
Schlaues Theater, stilles Theater
Die Selbstdiskursivierung des Betriebs ist löblich und notwendig, aber nicht immer produktiv. Am ersten Theatertreffenwochenende mit dem Themenfokus „Arrival Cities“ wurde die Rolle des Theaters zwischen Kunst und Sozialarbeit diskutiert. Dabei ließen sich folgende Tendenzen beobachten:
- Die TheatermacherInnen waren sich uneinig – was bei Positionen zwischen Thalheimer („Das Theater braucht den Flüchtling, der Flüchtling braucht das Theater nicht.“) und Jens Hillje, der Dresdner Bürgerbühne und Falk Richters von der AfD verklagtem Hipstertheater nicht weiter verwundert. Stefanie Carp gab zu, bei „Schiff der Träume“ einen moralischen Fehlschluss zugunsten des dramaturgischen Bogens in Kauf genommen zu haben. Der Rest war Ego.
- Die PolitikerInnen, PolitikwissenschaftlerInnen und das Gros der eingeladenen TheoretikerInnen war sich einig, dass Theater super ist. Laut Ulrike Guérot sei es gar der „einzige Ort, an dem politische Öffentlichkeit noch herstellbar ist.“ Auch Gesine Schwan fand nur lobende Worte für den geschützten, selbstkritischen theatralen Raum – schön, und wohl auch ein Ohnmachtsbekenntnis in Anbetracht des Versagens der eigenen Politiker-Zunft.
- Das Traumschiff/die Seebestattung Europas/das „Schiff der Träume“ trug eher wenig zum aufklärerischen Diskurs bei. Der Tod ist zahnlos.
- Den politischsten Part des politischen Eröffnungswochenendes liefert Theater, das auf das Theater setzt: Ersan Mondtags vorgangszentriertes Horror-Stück „Tyrannis“ leistet völlig wortlos, was das gesprächige Rahmenprogramm und das im eigenen Bruch gefangene Hamburger Totenschiff vergeblich versuchen: die Strukturen der Gewalt abzubilden. 130 Minuten verstörende Alltagsbrutalität ohne narrative Deutungshoheit. Groß – und ausgebuht.
(Theresa Thomasberger)