Kritik voller Adjektive. „Die Straße. Die Stadt. Der Überfall.“

Titel, Autor, Entstehungsjahr: „Die Straße. Die Stadt. Der Überfall“ von Elfriede Jelinek, 2012.
Handlung: Eine Frau (Sandra Hüller!) hassliebt ihren Rock, Rudolph Moshammer (Benny Claessens!) stirbt ein zweites Mal.
Erster Satz: Ich habe gehört, es gibt jetzt eine Satzung im Gesetz, daß man Orgien feiern muß.
Regisseur: Johan Simons, fünf Einladungen zum TT.
Eingeladene Bühne: Münchner Kammerspiele
Spielstätte beim TT 2013: Großer Saal im Haus der Berliner Festspiele.

Adjektive vermeiden! Eine der Grundregeln für Theaterkritiken. Daran wollen wir uns jetzt, nach der Premiere von „Die Straße. Die Stadt. Der Überfall.“, angetan von der jelinekschen Chuzpe, nicht halten.

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Überfällig, städtisch: „Die Straße. Die Stadt. Der Überfall.“ in der Inszenierung von Johan Simons mit Sandra Hüller, Hans Kremer, Stephan Bissmeier, Marc Benjamin (v.l.n.r.). Foto: Julian Röder

Clemens Melzer: Was man ja auf jeden Fall über den Abend sagen kann: Charmant.
Eva Biringer: Ja, charmant, unprätentiös, dabei gut kalkuliert. Typisch Jelinek.
CM: Suberversiv oder auch pervers?
EB: Pervers ehrlich. Subversiv im Subtext. Also eher unterschwellig subversiv. Ortsspezifisch?
CM: Ja, ortsspezifisch im Sinne von wehmütig und autoagressiv, also bierernst.
EB: Biernst?
CM: Hefe, das heißt: Hilfe. Ich meine: bierernst, drall, süddeutsch.
EB: Eher das Gegenteil von drall. Reduziert, befremdlich, eisigkalt.
CM: Kristall. Im Schmelzen auch schmierig, glänzend, schwierig. Eisigkalt wie unpädagogisch.
EB: Mehr gefährlich didaktisch, aber durch Jelineks Modeaffinität gerettet.
CM: Verführerisch didaktisch in Sachen Mode?
EB: Nein, verführerisch didaktisch in der der Mode inhärenten Botschaft. Gefahr von Oberflächlichkeit. Ausgestellt und gleichzeitig klug umgangen.
CM: Smart umschifft, würde ich sagen. Klug ist die Mimik, umgangen werden die Bedeutungsfestschreibungen. Fluffig.
EB: Mimisch, gestisch einwandfrei. Worthülsen werden zum Klingen gebracht. Fluffige Badewannenszene.
CM: Naja, ohne Schaum. Ich vermute: kantig, ungemütlich. Der Raum ist da übervoll und die Badewanne leer. Einwandfreier Zwang plus Champagner.
EB: Martini! Schwimmbewegungen angedeutet. Akustisches Kraulen. Stimmlich und instrumental von ausufernder Ergriffenheit.
CM: Bei der Gurgel ergriffen. Lapidare Watschn. Dazu schmutzige Komik.
EB: Saftige Watschn. Der Schmutz bleibt am Absatz kleben! Falscher Schmutz. Unauthentisch wie der Knopf am Blouson, hoppla, Blazer.
CM: Drunter Schlüpfer. Aristokratisch und asketisch zugleich. Will sagen: Fragwürdig von Anfang an.
EB: Dringlich in Kombination mit schmucker Tasche. Körperformend, korrigierend, unverzichtbar. Dabei samtig neutral. Sleek und schmiegsam wie der Untergrund.
CM: Dringliche Körperform, schmiegsames Plappern. Im Abgang hektisch, rötlich, unberechenbar.
EB: Berechtigt albern, maßlos relevant.
CM: Also, ich fand ja die Schauspieler toll.

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Eva Biringer, geboren 1989 in Albstadt-Ebingen, studierte Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft in Berlin und Wien. Nach Hospitanzen bei der Zeit, dem Standard und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung lebt sie in Berlin und schreibt unter anderem für Nachtkritik.

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Clemens Melzer lebt in Berlin, wo er Germanistik und Theaterwissenschaft studiert.

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