Heute beginnt der Stückemarkt – 297 Texte wurden in diesem Jahr eingereicht. Welche Schritte durchläuft ein eingesandtes Stück, bis es zu den acht Auserwählten gehört, die im Rahmen des Theatertreffens präsentiert und gegebenenfalls gefördert werden? Eine kleine Reise.
Ankunft: Der Text gelangt zu Friederike Jäcksch und Daniel Richter, den Leitern des diesjährigen Stückemarkts.
Vorselektion I: Jäcksch und Richter schauen sich die Unterlagen an: Ist der Name des Autors den Leitern schon begegnet? Ist er ein „alter Hase“, wie Friederike Jäcksch es nennt? Dann liest sie den Text, unabhängig von der Vorjury (siehe Vorselektion II), die jeden Text bekommt, und empfiehlt ihn den Juroren. Die fünfköpfige Jury wurde von den Leitern berufen. Sie soll möglichst unterschiedliche Sichtweisen aufs Theater repräsentieren, deshalb mischen sich in ihr Dramaturgen, Autoren, Schauspieler und Festspielleiter. In diesem Jahr sind es Malte Ubenauf (Dramaturg), Marlene Streeruwitz (Autorin und Regisseurin), Falk Richter (Autor und Regisseur), Iris Laufenberg (Leiterin Theatertreffen) und Burghart Klaußner (Schauspieler und Regisseur). Bis auf Iris Laufenberg, die seit 2003 Jurorin ist, wechseln die Jurymitglieder jährlich.
Vorselektion II: Ist der Name den Leitern nicht bekannt, gelangen nur Texte mit eingereichtem Empfehlungsschreiben (von einem namhaften Theaterschaffenden) an die Jury. Ein Empfehlungsschreiben benötigt man erst seit letztem Jahr. Es wurde eingeführt, „um eine seriöse Auswahl garantieren zu können“, sagt Friederike Jäcksch. Denn seit Iris Laufenberg den Stückemarkt 2003 vom deutschsprachigen Raum auf Europa ausgeweitet hatte, war die Zahl der eingereichten Texte auf zuletzt über 600 gestiegen.
Lektorenprüfung: Unbekannter Autor und unbekannter Empfehlungsschreiber? Dann wird der Text nun an einen Lektor verschickt, der abwägt, ob er gut genug ist, um der Jury vorgelegt zu werden. Das Urteil muss er/sie in einem Lektorat, einer „Empfehlung“, plausibel begründen. „Der absolute Schrott wird aussortiert“, so Lektorin Jessica Steinke. Sie ist Regisseurin und hat vor fünf Jahren Juliane Kanns „Blutiges Heimat“ beim Stückemarkt szenisch eingerichtet. Seitdem liest sie Texte für die Jury. „Es muss vorsortiert werden bei diesem Auswahlverfahren. Die Jury kann unmöglich 300 Stücke lesen, die Wahrnehmungsfähigkeit von Qualität würde darunter leiden.“ Sie bekommt zehn bis 20 deutschsprachige Stücke zugeteilt, höchstens ein Viertel davon erreichte in den letzten Jahren am Ende die Jury. „Natürlich ist meine Auswahl subjektiv, aber ich lese die Stücke sehr gründlich. Als Regisseurin achte ich auf die Umsetzbarkeit der Texte und auf das Form- und Sprachbewusstsein“, sagt sie. „Letzten Endes muss man aber auch seinem Instinkt vertrauen.“ Der scheint sie in den letzten fünf Jahren nicht getrügt zu haben: Fast immer hat es ein Stück aus ihrem Stapel unter die Gewinner geschafft. Diesmal ist es Sandra Kellein; sie wurde zum Dramatikerworkshop eingeladen.
Aber wie wird man überhaupt Lektor? „Das läuft auf Empfehlung und über verschiedene Netzwerke“, so Friederike Jäcksch. Die Lektorin Anna Häusler zum Beispiel kennt Friederike Jäcksch noch vom Studium in München. Sie hat zuletzt drei Jahre lang als freie Lektorin und Redakteurin gearbeitet, momentan schreibt sie an einer literaturwissenschaftlichen Promotion. Die meisten anderen der 20 bis 30 Lektoren kommen auf Empfehlung der europäischen Goethe-Institute. Es muss in unterschiedlichen Sprachen vorsortiert werden – in diesem Jahr trafen Stücke aus 27 Nationen ein.
Die Möglichkeit der Stichprobe: Wurde der Text, wie etwa 150 andere, auf deutsch oder in einer anderen Sprache eingereicht, die ein Stückemarktleiter oder ein Jurymitglied spricht, landet er möglicherweise in einer „Stichprobe“. Selbst, wenn er dem Lektor nicht gefallen hat, wird er vielleicht einem Jurymitglied „untergeschoben“. So kann die Arbeit der Lektoren überprüft werden. Auch im Falle eines unentschiedenen Lektorats liest die Jury das Stück. „Einerseits sind wir Lektoren diejenigen, die so manches Stück als erste in die Hand bekommen und darüber entscheiden müssen, ob es eine Chance bekommt oder nicht. Andererseits liegt es letztendlich immer in den Händen des Teams und der Jury, Empfehlungen aufzugreifen“, so Anna Häusler. Ein Stück in niederländischer Sprache landet wahrscheinlich noch einmal bei Juror Falk Richter: „Ich spreche fließend Niederländisch, […] insofern habe ich die niederländischen und flämischen Stücke gelesen. Das waren aber insgesamt nur zwei oder drei“, erklärt er. Wurde das Stück auf Rumänisch, Kroatisch, Finnisch, Estnisch, Lettisch oder einer anderen Sprache verfasst, die von keinem Jurymitglied oder Stückemarktleiter gesprochen wird, ist eine Stichprobe schwer möglich. Dann muss man darauf bauen, dass der Lektor die Qualität des Textes erkennt und ihn entweder selbst übersetzt oder für eine Übersetzung plädiert.
Die Versendung an die Jury: Höchstens 80 Stücke landen jährlich in den Händen eines Jurors. Aber nicht jeder Juror liest jeden Text. Falk Richter spricht von etwa 60 Stücken, die er gelesen habe. Malte Ubenauf sagt, bei ihm seien es etwa 40 gewesen. „Jeder Text“, so Ubenauf, „wird von zwei Juroren gelesen. Die in der engeren Auswahl dann von allen.“ „Die unterschiedlichen Zahlen kommen zustande, da jeder Juror am Ende wirklich unterschiedlich viel liest“, sagt Friederike Jäcksch, „je nach dem, welche Empfehlung der Juroren bei wem Interesse weckt, den Text gegenzulesen.“
Die Jury liest: „Etwa zwei Stunden pro Stück“, braucht Falk Richter. Malte Ubenauf meint: „Das entscheidet das Stück, nicht ich.“
Die Jurysitzungen: Nimmt ein Juror den Text in die engere Auswahl, müssen ihn die anderen vier ebenfalls lesen. In mehreren Jurysitzungen wird darüber gesprochen und abgestimmt. In der engeren Auswahl waren in diesem Jahr auch Stücke aus Spanien, Frankreich, der Schweiz, aus Schweden, Dänemark und der Niederlande. Letzten Endes wurden für die szenische Einrichtung aber vier deutsche und ein rumänisches Stück ausgewählt. Über die Auswahl der Stücke schreibt Jurorin Marlene Streeruwitz in der taz:
„Ausgewählt wurden am Ende die Texte, die sich am wenigsten dem Diktat des Betriebs ergaben und zumindest nicht klein sein wollten.“
Frustvorbeugung: Hat der Text eine dieser Hürden nicht genommen und der Autor kann sich nicht unter die Riege der Gewinner der letzten Jahre wie Oliver Kluck, Nis-Momme Stockmann, Anne Habermehl, Philipp Löhle oder Anja Hilling einreihen, gibt es noch viele andere Theater, die Nachwuchsautoren per Ausschreibung suchen. Den Heidelberger Stückemarkt zum Beispiel oder die Werkstatt-Tage für junge Dramatiker am Wiener Burgtheater. Allerdings haben beide zuletzt keinen Gewinner gekürt. „Mangel an qualitativen Bewerbungen“, begründete die Jury am Wiener Burgtheater. In Heidelberg gab die Jury (zu der auch der Stückemarkt 2009-Gewinner Nis-Momme Stockmann gehörte) nach neunstündiger Sitzung bekannt, „dass aus den zur Auswahl stehenden Stücken keine derartig heraus ragen, dass wir eindeutig und konsensfähig die zu vergebenden Preise – den Autorenpreis, den Innovationspreis und den Europäischen Preis – verleihen können.“ Ob die Heidelberger Flaute sich in Berlin fortsetzt, wird sich am 21. Mai zeigen. Dann soll zum Abschluss des Stückemarkts der Förderpreis für neue Dramatik verliehen, der Werkauftrag vergeben und ein Text für eine Hörspieladaption ausgewählt werden.