„Ich kann alles spielen.“ Ein Interview mit Damian Bright

Nach einem Skype-Interview mit Jérôme Bel, das hier im TT-Blog zu lesen ist, traf ich mich heute zum Gespräch mit Damian Bright, einem der Schauspieler aus „Disabled Theater“. Wir sind im Hotel verabredet, nahe beim HAU, wo alle Schauspieler untergebracht sind. Ein Fernsehteam macht mir Konkurrenz. Alle wirken jedoch relaxed. Der Rummel scheint schon Routine geworden zu sein.

Theater Hora performer Damian Bright in front of the rest of the ensemble during a performance of Disabled Theater. Photo Credit: Michael Bause

Damian Bright vom Theater Hora, Zürich, in einer Szene von Jérôme Bels Inszenierung „Disabled Theater“. Foto: Michael Bause

Clemens Melzer: Ihr seid eigentlich Schauspieler (Am Theater HORA in Zürich durchlaufen alle eine zweijährige Ausbildung, um dann als professionelle Schauspieler in verschiedenen Inszenierungen zu spielen). War es da nicht komisch, bei Jérôme Bel plötzlich zu tanzen?
Damian Bright: Eigentlich gar nicht. Für mich war das keine Überraschung. Ich hatte ja schon vorher Jérômes „The Show must go on“ gesehen. Für andere von uns war es aber eine Umstellung. Es ist ja so, dass Jérôme will, dass wir auf der Bühne wir selbst sind.

CM: Geht das denn, dass man auf der Bühne „man selbst“ ist?
DB: Nein, das geht zu einer Rolle über. Man muss ja immer das Gleiche sagen: Name, Alter, Beruf. Das wird dann eine Rolle, weil ja dieses Konzept da ist.

CM: Gab es Diskussionen? Habt ihr beispielsweise gefragt, warum ihr diese vorgeschriebenen Sätze sagen sollt?
DB: Das haben wir nicht gefragt. Das ist Kunst, was wir machen. Ich habe im Fernsehen von einer Frau gehört, die nach einer Aufführung geweint hat. Kunst soll berühren. Das können die Kritiker dann hinterfragen, aber das ist nicht unsere Aufgabe als Schauspieler. Es gab bei den Proben keine Diskussionen. Was aber eigentlich immer passiert, ist, dass jemand eigene Sachen machen möchte.

CM: Was erfüllt dich mehr, wo hast du das Gefühl, dich eher weiterzuentwickeln: mit dem Rollen-Spielen in Zürich oder mit dem Tanzen bei Jérôme Bel?
DB: Das Stück mit Jérome war eine wirkliche Entwicklung für mich. Man sieht es mir nicht unbedingt an, aber ich habe Down-Syndrom. Ich fühle mich aber immer besser in der Arbeit mit Jérôme. Wenn es gut gelaufen ist, habe ich immer auf Wolke Sieben geschwebt, wenn ich nach Hause gekommen bin. Also nochmal: Ein großes Lob an Jérôme! Ohne ihn wäre ich nie so weit gekommen. Ich möchte eigentlich an ein „normales“ Theater und auch selber inszenieren. Aber wenn Jérome wieder etwas macht, bin ich sofort dabei. Er macht jetzt vielleicht „The Show must go on“ in Neuseeland, da hätte ich große Lust, dabei zu sein.

CM: Gibt es Rollen, die dir mehr liegen als andere?
DB: Nein, ich kann alles spielen. Wenn es zu einer Rolle gehört, dass ich nackt auf der Bühne stehe, dann mache ich das. Man kann durch Provokation erreichen, dass in den Köpfen der Leute etwas passiert. Dass die sich fragen: Was macht der da eigentlich? Überall auf der Welt gibt es Provokationen. Es geschieht so viel. Es gibt Krieg und es gibt Künstler, die verfolgt werden. Kunst kann da den Blick weiten, Kunst erschafft sich immer wieder neu. Man sollte es einfach versuchen, ob’s dann klappt oder nicht. Am Ende entscheiden die Zuschauer.
Einmal sollte ich aber spielen, dass ich rohes Fleisch esse, als Symbol für den Leib Christi. Das fand ich nicht gut. Da verletzt man religiöse Gefühle. Ich denke, Kunst soll nicht verletzen. Wenn man sagt: „Halt die Fresse oder ich hau Dir eine rein!“, ist das keine Kunst mehr.

CM: Ihr bekommt ja inzwischen sehr viel Aufmerksamkeit. Hier läuft zum Beispiel gerade ein Fernsehteam herum. Ist das schon anstrengend oder wie erlebst du das?
DB: Nee, das ist einfach eine nächste Stufe. Daran müssen wir uns gewöhnen. In Zürich hat ein Kritiker eine von uns getroffen und sie sehr gelobt. Sie hat daraufhin angefangen zu weinen. Daran müssen wir uns halt noch gewöhnen …

Ich wünsche ihm viel Erfolg für die kommenden drei Aufführungen von „Disabled Theater“ im HAU. Er sei schon aufgeregt, da jetzt ja nochmal anderes Publikum komme. Aber er habe ja auch bereits vor wesentlich größeren Tribünen gespielt, wie auf dem Theaterfestival in Avignon.

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Clemens Melzer lebt in Berlin, wo er Germanistik und Theaterwissenschaft studiert.

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