Der Auftritt der eingeladenen Theater jenseits der Bühnenkante:
„Ich ziehe jeden Fahrplan an der Bushaltestelle vor“, sagt ein Zuschauer, gebeugt über einem halben Dutzend Monatsspielplänen. Er spricht über gedruckte Theaterspielpläne an sich und die der eingeladenen Theater im Besonderen. Man muss dazu wissen: Der Mann lebt in Berlin und hier werden die Buspläne nach Vorlagen von Meta Design gestaltet. Es sind in der Tat die besten Buspläne der Republik: sie sind klar, übersichtlich und gut strukturiert. Seiner Meinung nach reichen die gefalteten Spielpläne von deutschen Theatern da nicht heran. Schwer erträglich findet er dieses „Kunstgetöse“ gerade bei einem Medium, das „einfach gut gestaltet und lesbar sein sollte. Es muss dem Leser dienen“, meint er.
Monatsleporello
Die Monatsspielpläne dürften unter den meist beachteten Medien eines Theaters sein. Jeder braucht sie, um zu wissen, was läuft. Also müssen sie vor allem Orientierung bieten. Das schafft das eine Theater mehr, das andere weniger. Einige Lösungen sehen sich dabei verdammt ähnlich, wie hier die Spielpläne von Hebbel am Ufer, Münchner Kammerspiele und Volksbühne:
Hat man sich erst mal eingelesen, kommt man irgendwie mit allen Leporellos zurecht. Aber wie gestalten Theater ihren „Marken-Auftritt“ generell? Wie inszenieren sie sich nach außen, wie erzählen sie von sich? Mit welcher Sprache sprechen sie? Wer ist das Sprachrohr? Und werden Schauspieler dabei als Botschafter engagiert?
Aus Zuschauerbefragungen weiß man, dass der gemeine Theaterbesucher gerne und überwiegend nach Schauspielern die Stücke aussucht, auch Regisseure sind natürlich wichtig, wenn das Werk grundsätzlich von Interesse ist. Also wäre die Frage an die Theater, ob man bei der Vermittlung nicht Dinge in den Vordergrund stellen sollte, die Zuschauern wichtig sind: Inhalte, die als Entscheidungsgrundlage für einen Theaterbesuch dienen.
Verlage machen das. Die Namen der Bestsellerautoren nehmen meist mehr Platz ein als der Titel:
Schauspieler
Und Theater? Werben sie mit ihren Schauspielern – mit Namen und Portraits? In der Kommunikation nach außen passiert das eher nicht. Die Darsteller kommen in den Übersichten der Monatsspielpläne gar nicht vor. In der Regel gibt es Schauspielerfotos und die kommen in Spielzeithefte, die die Saison ankündigen – oder ins Netz. Die Volksbühne verzichtet sogar gänzlich darauf, ihre Schauspieler im Spielzeitheft zu zeigen. Sie lässt stattdessen Herrn Josefsohn „lustige“ Fundstücke der Fotografie scheinbar zufällig zu den Inszenierungen stellen. Erstaunlich. Es ist ja nicht so, dass die Volksbühne sich verstecken müsste mit ihren Mimen (wir gratulieren an dieser Stelle herzlich Sophie Rois zum Berliner Theaterpreis).
Bei anderen Häusern kommen sie vor, die Schauspieler. Aber welches Markenverständnis steht da dahinter? Man ist sich als Betrachter nicht ganz sicher, ob die Bilder aus Verlegenheit so aussehen, wie sie aussehen, oder ob da System dahinter steckt. „Wundert mich nicht, dass die immer so traurig gucken auf den Bildern“, kommentiert eine Hamburger Zuschauerin trocken. „Die müssen auch so anstrengende Sachen spielen. Würde mir auch keinen Spaß machen.“
Bilder
Bilder werden momentan und allerorten behandelt, als wüsste man nicht, wie menschliche Wahrnehmung funktioniert. Der Mensch entwickelt Empathie mit Hilfe des Sehens. Das Sehen ist unser primärer Sinn und den stärksten Sinneseindruck erzeugen Gesichter. Über Gesichter kommuniziert sich Begeisterung. So erreicht man die Herzen der Menschen. Es gibt sie durchaus, die exzellenten Schauspielerfotos, die wach sind und lebendig und Nähe zulassen. Unter den eingeladenen Theatern jedoch gelingt es keinem, daraus eine Kunstform zu entwickeln. Es gibt keine klare Bildsprache, schon gar nicht hinterlässt sie bleibenden Eindruck.
Stückebeschreibungen
„Wenn ich keine Pressestimmen finde, bin ich sowieso aufgeschmissen. Die Texte auf den Stückekärtchen kapiere ich schlicht nicht. Da komme ich mir dumm vor, wenn ich versuche, die zu verstehen“, sagt eine Abonnentin des Thalia Theaters. Die zitierte Abonnentin ist Akademikerin und als Journalistin durchaus der Sprache mächtig. Der theaterbegeisterte Begleiter kommentiert das mit nur einem Wort: „Dramaturgentexte“. Das scheint ein Schimpfwort zu sein und so viel zu bedeuten wie: kann man nicht verstehen und muss man auch nicht verstehen. Ähnliches weiß eine regelmäßige HAU-Zuschauerin zu berichten: „Wann immer ich mir einen der HAU-Programmzettel nehme, bevor ich in den Theatersaal gehe, frage ich mich hinterher, warum ich das gemacht habe. Ich weiß doch, dass ich mir das sparen kann. Die Texte jedenfalls sind für mich nicht hilfreich.“ Auch aus München gibt es ähnliche Stimmen. Und auch hier sei die Frage erlaubt: Würden Schauspielerkärtchen nicht besser zum Zuschauerbedürfnis passen, als Stückekarten?
Gesamtauftritt
„Für jemanden wie mich, der viel ins Theater geht und die Münchner Kammerspiele kennt, für den funktioniert der Gesamtauftritt des Theaters ganz gut. Er ist klar, pragmatisch, emotionslos“, erzählt eine Münchner Zuschauerin. „Wenn ich meinen Freund allerdings zu einem Theaterbesuch animieren will, funktioniert die Werbung der Kammerspiele ganz und gar nicht. Da suche ich dann lieber auf Zeitungs-Homepages, ob ich Kritiken und ansprechende Bilder finde, sonst geht er nicht mit. Die Marken-Kommunikation der Kammerspiele ist ihm viel zu unsexy. Nur Schrift, Schrift, Schrift.“ Man muss Lesen, um zu verstehen. Die verschiedenen Schrifttypen sind dabei eher hinderlich als hilfreich. Der findige Theatergänger weiß sich offenbar zu helfen, trotz kommunikativer Erschwernisse. Die Menschen finden also oft trotz der hauseigenen Werbemittel und der unscharfen „Markensprache“ ins Theater und nicht wegen ihnen.
Stolz und Identifikation
„Ich lese die „Theater-Zeitung“ und dann weiß ich, was ich sehen will“, erklärt eine Bonner Theaterbesucherin. Am Theater Bonn wird das Rad nicht neu erfunden. Theaterbeilagen gibt es seit den 1970er Jahren. Trotzdem hat man mit den Sonderseiten im General-Anzeiger Bonn einen erfolgreichen Kanal gefunden, sein Publikum zu erreichen. Abonnentenfreundlich und lokalspezifisch – und für ein identitätsstiftendes Gefühl von „unserem Theater“.
Auch in Wien scheint die Identifikation groß. „Keiner will hier Berlin sein“, sagt eine Zuschauerin. Der Burgtheater-Intendant kommt im Ansehen gleich hinter dem Bundespräsidenten. Und Wien liebt seine „Burg“ (Burgtheater sagen eigentlich nur Zugereiste). Damit ist es natürlich einfach, könnte man einwenden. „Die Burg“ ist eine Marke. So hat man die gesamte Marken-Kommunikation um diese liebevolle Abkürzung herum ersonnen. „Die Burg“ steht im Mittelpunkt der Welt, sogar mitten in Wörtern und wird dadurch Poesie. Identität wird hier zur Botschaft. Das unterscheidet sie auch vom ebenso schriftlastigen Auftritt der Münchner Kammerspiele (kein Mensch sagt etwa „MK“). In Wien wird nichts Falsches behauptet: Für die Wiener ist „die Burg“ der Nabel der Welt. Wenn eine Premiere ansteht, ist das Stadtgespräch. Sicher gibt es in Wien – auch jenseits der Bühnenkante – Spannendes zu beobachten und zu untersuchen, was es braucht, um Identifikation und Stolz zu ermöglichen.
Markenerlebnis
Ein unverwechselbares Bühnenerlebnis reicht noch nicht zum unverwechselbaren Markenerlebnis. Dazu braucht es eine Haltung, eine begeisternde Idee, die auch visuell und kommunikativ eine klare Positionierung zulässt und dem Publikum Orientierung gibt. Eine Verbindung von Information und Emotion, die authentisch darstellt, was das Haus zu bieten hat und wofür es steht – und nicht, was es repräsentiert oder behauptet.
Vielleicht lässt sich an den gezeigten Beispielen aus Fotografie und Verlagswelt ablesen, wie sinnvoll es ist, seine Theater(-stücke) schön zu verpacken, um neugierig zu machen auf den Inhalt.