Regisseur Simon Stone hat es mit Ibsens „John Gabriel Borkman“, seiner Debütinszenierung am Wiener Burgtheater, direkt zum Theatertreffen geschafft – und das Publikum im Festspielhaus war zwei Stunden lang aus dem Häuschen. Endlich wieder: Stars, Stars, Stars! Unsere Autorin hat sich ins Paillettenkleid geworfen und den Bleistift dennoch auf Pieksen gespitzt.
Den ersten Applaus gibt es direkt für Katrin Bracks Bühnenbild: Der Vorhang schwingt zur Seite, es schneit, man klatscht. Die folgenden zwei Stunden spielen im Inneren dieser flimmernden Schneekugel, in der phantastische SchauspielerInnen ihr ganzes Repertoire an Sich-verhalten-im-Schnee zum Besten geben. Simon Stones Inszenierung zieht Ibsen einmal durch den Klamauk-Kakao und verlässt sich ansonsten auf ihre Stars. Das war eine gute Idee.
Kleine Studie des Stapfens
Birgit Minichmayrs Gunhild rollt sich aus einer Schneeverwehung und gräbt minutenlang hingebungsvoll nach ihrem Aschenbecher. Martin Wuttkes Borkman trampelt durch das weiße Gold des eigenen Größenwahns. Aus dem Hügel hinten rechts schiebt sich eine E-Gitarre. Die Perücken schütteln sich im Puderzucker. Es wird gestapft. Despotenstapfen, Schluderstapfen, Hüftschwungstapfen, Mammutstapfen, Slapstickstapfen, Familienaufstellungsstapfen. Was man im Schnee nicht alles machen kann! Sogar Ibsen!
Besoffen im Schnee
Ibsen? Die Geschichte des agoraphobischen Bänkers Borkman, der zwischen zwei Schwestern und einem Finanzskandal seine gesamte Sippe ins Unglück stürzt, ist dann doch ganz die Alte. Nur dass das mit der Finanzkrise ja eigentlich recht aktuell ist, und dass in dem norwegischen Familienmelodram sowas wie große Themen verhandelt werden, ist irgendwie nicht so präsent. Egal, hier geht’s nicht um Inhalt. Inhalt ist was fürs Off-Theater. Birgit Minichmayrs und Martin Wuttkes Borkman-Ehepaar ist eh besoffen, Caroline Peters wippt mit verschränkten Armen in Ich-hab-Migräne-Haltung durch die Inszenierung. Die Figuren sind hysterische Wohlstandsverwahrloste, denen man die tiefe Not, die Ibsen ihnen einmal angeschrieben hat, nun wirklich nicht mehr ansieht. Die hochdepressive Familie Borkman, in der emotionale Erpressung, Krankheit und Wahn regieren, ist in Stones Überschreibung allenfalls neurotisch. Dafür sind sie plötzlich lustig (ja, lustiger Ibsen) und diskutieren auf der Suche nach der schneeverwehten Weinflasche auch noch ein bisschen den Zeitgeist. Im Gegensatz zu Stefan Pucher und Dietmar Dath weiß Simon Stone aber, was das ist, dieses Internet, und seine Witzchen zu Facebook und Foodblog rodeln mühelos an der Peinlichkeit vorbei.
Hier kann man sich seinen Alkoholismus noch leisten
Während das Publikum bestens amüsiert vor Zwischenapplaus dröhnt (z.B. wenn Wuttke, auf einem Röhrenfernseher wankend, „Ich bin ein Visionär“ brüllt, weltmännisch die Zotteln zurückwirft, um dann beleidigt von der Bühne zu stapfen), wird man den Gedanken nicht los, man befinde sich in einem Hochglanzmagazin über die Intrigen, Affären und Drogenprobleme der schneeverwöhnten Upperclass. Alles an diesem Wiener Wintertraum ist High Society, vom Regisseur bis zum Figurenkonzept der Promi-Darsteller: Man feiert sich. Ein einziges Mal wird die allgemeine Seitenblicke-Hysterie dann doch gebrochen und es schneit durch, was an diesem Stoff nochmal so verflucht dramatisch war: Wenn Roland Kochs Wilhelm erfährt, dass sein geliebtes Töchterchen (Liliane Amuat, die im Hintergrund melancholisch die Gitarre zupft) ihn für eine Weltreise verlässt, dann lacht er so gutmütig in Caroline Peters‘ Verlegenheit hinein, dass man die große Verzweiflung dieser Familiengeschichte doch noch zu erkennen glaubt. Spätestens wenn Martin Wuttke seinen eigenen Tod noch postmortal-beschwingt durch zum Peace-Zeichen gespreizte Finger kommentiert, ist die Stimmung aber wieder auf Après-Ski. Gut, dass gleich DJ Lars Eidinger mit seinen Groupies kommt.
John Gabriel Borkman
nach Henrik Ibsen von Simon Stone
Regie: Simon Stone, Bühne: Katrin Brack, Kostüme: Tabea Braun, Musik: Bernhard Moshammer, Licht: Friedrich Rom, Dramaturgie: Klaus Missbach.
Mit: Martin Wuttke, Birgit Minichmayr, Max Rothbart, Caroline Peters, Nicola Kirsch, Roland Koch, Liliane Amuat.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
Koproduktion Burgtheater Wien / Wiener Festwochen / Theater Basel
www.burgtheater.at
www.festwochen.at
www.theater-basel.ch